Micro-Blogging ohne Fediverse

Micro-Blogging ohne Fediverse-Anbindung. Das ist in diesem Beitrag jetzt das Thema. Ihr fragt Euch warum? Und ob ich das ernst meine? Oder inwiefern das denn überhaupt sinnvoll sein könnte?

Nun, das ist mir jetzt gerade mal egal. Ich selber mache das ja auch gar nicht. Also alles gut, wenn Ihr das Fediverse toll findet. Ich bin da auch. Ich benutze elk.zone und Mona, und das sind beides Mastodon-Clients, d.h. sie sprechen über die Mastodon-API mit den Servern. Und diese Mastodon-Server wiederum föderieren über das Protokoll ActivityPub untereinander und dadurch auch mit Servern, auf denen ganz andere Software läuft. Ich micro-blogge somit also im Fediverse, ob ich das nun gut finde oder nicht.

https://elk.zone/ (noch alpha) — genauer gesagt benutze ich https://main.elk.zone/ (die beinahe täglich aktualisierte canary-Version) — ist eine Web-App für den Browser, und „Mona for Mastodon“ (auch noch beta) ist eine iOS/iPadOS/macOS-App. Deren iPhone/iPad-Version liegt aktuell noch im Apple-Testflight (also noch nicht im App Store), und die Mac-Version gibt’s auch noch nicht im Store, aber zum direkten Download. (Zum Glück unterstützt sie MacOS 11 Big Sur und auch Intel-Macs, denn mein testweise geliehenes MacBook ist 10 Jahre alt und kann nichts Aktuelleres.) Ich erwähne diese beiden Fediverse-Apps hier nur, weil es die beiden Mastodon-Clients noch nicht gab, als ich meinen letzten Blogbeitrag Die kürzest mögliche Anleitung zu Mastodon geschrieben hatte, und weil sie Mastodon wirklich erheblich aufwerten. Überhaupt hat Mastodon seitdem einen nennenswerten Zulauf erhalten und auch viel von seiner vorher sehr toxischen Kultur abgelegt. Meine Sicht auf Mastodon ist also inzwischen etwas positiver als noch im letzten Blogeintrag dargestellt. Für meine Sicht auf das Fediverse insgesamt gilt das aber nicht, und deshalb geht es hier heute wie gesagt um Micro-Blogging ohne Fediverse-Anbindung. Ich möchte nicht aus den Augen verlieren, was es dort an neuen Möglichkeiten gibt.

Ein kurzer Abschweifer aber noch zu dem warum: Einmal hatte ich auch eine andere Fediverse-Software ausprobiert, nämlich Pixelfed. Spaß gemacht hat das aber leider überhaupt nicht. Ich wollte z.B. dem User @Karneol@pixelfed.social von Pixelfed aus folgen. Folgen deshalb, weil ich die Schwarz-Weiß-Bilder, die ich auf https://pixelfed.social/Karneol sah, schön fand. Und folgen von Pixelfed aus, weil ich 1. keine Bilder-Feeds in meinen Mastodon-Timelines haben möchte, und sie 2. in einer Pixelfed-App anschauen wollte. Meine Pixelfed-Instanz war aber https://pixel.tchncs.de , und von dort aus war (und ist) dieser User über die Suche nicht zu finden. Die Mastodon-Suche fand (und findet) ihn natürlich: Nach dem Muster „protocol://mastodon-client/mastodon-server/fediverse-user/parameter“ beispielsweise unter https://elk.zone/social.tchncs.de/@Karneol@pixelfed.social/with_replies . Über social.tchncs.de (eine Mastodon-Instanz) komme ich also dran. Sogar an die rein textuellen Repliken des Users auf Posts von Dritten! Über pixel.tchncs.de (eine Pixelfed-Instanz) ging (und geht) das aber überhaupt gar nicht. Da komme ich nicht mal an die Fotos ran. Da lege ich meinen Foto-Account im Fediverse also doch lieber gleich bei einer Mastodon-Instanz an, oder?

Ach nee, geht ja nicht, denn ich will ja Pixelfed-Apps zum Fotos gucken benutzen, wie ich gerade schrieb. Beispielsweise benutze ich die App Vernissage for Pixelfed auf meinem Account bei pixel.tchncs.de, schaue mir dort die Federated-Timeline an, und bei Gefallen doppeltippe ich ein Bild (um es zu liken). Aber fast alle Bilder, die da kommen, sind von Mastodon-Instanzen, also von irgendwoher aus dem Fediverse, nur nicht von Pixelfed-Servern. Und Bilder bei Mastodon möchte ich lieber von einem meiner Mastodon-Accounts aus liken, weil sich dort meine Fediverse-Identität manifestiert. (Denn eine übergreifende Identität gibt es ja idiotischerweise nicht.) Da lege ich meinen Foto-Account im Fediverse also doch lieber gleich auch bei einer Mastodon-Instanz an, oder? Hach ja, diese Frage hatten wir gerade schon mal.

Witzigerweise sprechen die Pixelfed-Apps mit den Pixelfed-Servern auch über die Mastodon-API, und nicht über was Eigenes, so dass Client-Apps eigentlich beide Server-Arten können müssten, wenn sie denn wollten (was z.B. die App Tusker demonstriert, die Mastodon und Pixelfed kann). Aber wer weiß schon, was Apps bzw. deren Entwickler:innen so wollen. Ich jedenfalls nicht. Und ich will es auch gar nicht unbedingt wissen. Ich möchte aber wenigstens ein bisschen verstehen, welchen Wert sowas wie Pixelfed überhaupt generiert. Das hatte ich neulich auch schon mal hier gefragt: https://social.tchncs.de/@York/109614584995272253 . In dem Thread ab da hatte ich meine Frage mehrfach präzisiert. Irgendwann ging es dort dann sogar auf englisch weiter: https://mastodon.social/@nnz/109618567667922846 (ja, ich habe für deutsch und englisch getrennte Accounts bei verschiedenen Mastodon-Instanzen, weil ich das so möchte). Meine These am Ende war, dass man Fotos doch lieber gleich auf eine Mastodon-Instanz hochladen sollte. Oder wie hier eben schon zweimal gefragt: Da lege ich meinen Foto-Account im Fediverse also doch lieber gleich bei einer Mastodon-Instanz an, oder? Aber das Problem ist halt: Ich will keinen dritten Mastodon-Account. Also nutzte ich bisher nur Fotoplattformen außerhalb des Fediverse.

Ich formuliere dieses Fazit mal in Form eines bekannten Internet-Mems:
– broke: Fotos bei einer Pixelfed-Instanz haben
– woke: Fotos bei einer Mastodon-Instanz haben
– bespoke: gar keine Fotos im Fediverse haben

Und wenn man schon keine Fotos im Fediverse haben will. Warum dann Kurztexte?

Und damit sind wir endlich beim Thema angekommen, und Ihr merkt schon, mir fehlt da irgendwo etwas Grundverständnis zum Fediverse, das ihr bestimmt alle habt. Aber Activity-Pub war ja eigentlich ganz anders gedacht. Es gibt z.B. auch ein gleichnamiges Server-to-Client-Protokoll, also nicht nur das Server-to-Server-Protokoll, dass alle immer meinen. Mastodon und andere Instanzen mit stattdessen ihren eigenen APIs und Protokollen fügen so viel Logik hinzu, und machen so viel Lock-in auf sich selbst, dass sich das Ganze weder wirklich dezentral anfühlt, noch wie aus einem Guss. Diese Art von Föderation wirkt eher wie ein Hack, bei dem ganz viel Ärgernisse von (guten) Clients kompensiert werden müssen. Aber die allermeisten Clients sind nicht gut, und die allermeisten User zu Recht gefrustet. Außer vielleicht denen, die das aus ideologischen Gründen nicht sehen wollen. Da ist eine fast religiöse Bubble um Fediverse-Themen herum entstanden, die sich für den Nabel der Welt hält, aber tatsächlich nur in einen obskuren Kult abgedriftet ist. Andererseits: Das ist bei vielen Dezentral-Kulten so, z.B. auch bei Nostr und The AT Protocol (Bluesky).

Wie auch immer. Aus all diesen Gründen (viele schlechte eigene Erfahrungen und Technologiestudien) begab es sich also, dass ich zu der Frage kam, warum man überhaupt im Fediverse micro-bloggen will, also wozu das überhaupt gut sein soll, bzw. welche neuen Micro-Blogging-Möglichkeiten außerhalb des Fediverse eigentlich entstanden sind, seit Twitter zu einer No-Go-Area geworden ist, die man nicht mehr betreten mag (FOBS-Effekt = fear of being seen). Wichtig sind für mich drei Dinge: Das Vertrauen in den Anbieter, die User Experience der Zugangs-Tools, und die Kultur der Leute dort. Ich mag es nicht, wenn Hinz und Kunz und auch Hein Mück einen auf Anbieter machen, und es dadurch keinerlei Verlässlichkeit gibt. Und ich mag es nicht, wenn man die User Experience dem Zufall überlässt, weil man Instanzen föderiert, die eine andere Software fahren und dadurch die User Experience und die Kultur in der eigenen Community stören. Es ist ok und sogar wünschenswert, wenn irgendwelche Apps das Nutzungserlebnis gestalten, und jeder irgendwelche anderen Apps benutzt, aber es muss schon überall die gleiche Server-Software sein. Protokolle allein waren noch nie eine brauchbare Basis für irgendwas. Ich mag bei Social-Media-Servern auch keine Open-Source-Software, die irgendwer wartet und irgendwer betreibt. Das ganze Fediverse ist ein Verbund von solchem Rotz auf Basis einen schlechten Protokolls und einfach nur abschreckend. Auch, weil nichts wirklich zusammenpasst. Leider, leider, ist es außerhalb des Fediverse auch nicht viel besser. Es gibt zwar utilitaristisch und kulturell gesehen homogenere Inseln, aber in Sachen der genannten drei wichtigen Aspekte Verlässlichkeit, User Experience und Vertrauen in die Anbieter sieht es wirklich aktuell kein Stück besser aus. Zumindest nicht bei den neuen Anbietern, bei denen alles noch genauso beta ist wie im Fediverse. Hier ein paar Beispiele für neue Portale im Bereich Micro-Blogging ohne Fediverse-Anbindung, die ich mir angesehen habe oder mal ansehen könnte oder vorerst noch nicht ansehen möchte oder konnte:

Spoutible z.B. habe ich bisher nie ausprobiert, weil mir Chris Bouzy, Bot Sentinel und ColibriSM erheblich zu dubios vorkamen. Dazu kommen inakzeptable Terms of Service, egomanische Willkür und ein sehr schlechter Ruf in jeder Hinsicht. Mal abgesehen von dem angeblichen 300-Zeichen-Limit (alles unter 500 ist völlig inakzeptabel!), sowie auch das ganze Konzept mit Ratings und Advertisement. Das ist Datensammelei (und damit auch Leakage) bis zum Abwinken. Es lohnt sich derzeit absolut nicht, sich mit Spoutible überhaupt zu beschäftigen.

Post.news hingegen habe ich ausprobiert (und versuche seit einiger Zeit auch immer wieder, es irgendwie zu benutzen), finde es aber extrem hässlich und in der Praxis komplett unbrauchbar: Weblinks werden sehr aggressiv durch große Vorschau-Kästchen ersetzt, und bei Quote Posts sieht man meist erst nur das Bild des im verlinkten Post eingebetteten Weblinks, während man das eigene erst sieht, wenn man den Post im Feed aufklappt. Verlinken möchte man also gar nichts. Kommentare wiederum gehen fast unter, und man sieht sie eigentlich nur, wenn man auf das Icon klickt, weil man selbst kommentieren möchte. Und dann geht dafür ein Popup-Fenster auf, das viel zu stark an Facebook erinnert, und das man auch wieder wegklicken muss. Außerdem basiert das Kommentarsystem auf OpenWeb (dem ehemaligen Spot.IM), das mir überhaupt nicht geheuer und auch sehr schlecht integriert ist. Links auf Kommentare werden z.B. auf die Seite des Posts umgeleitet, so dass man gar nicht zum Kommentar kommt, ihn also defacto nicht verlinken kann. Kommentieren möchte man dort also auch eher nicht. Man möchte bei Post.news irgendwie einfach gar nichts machen. (Und es würde auch gar nicht überall funktionieren. OpenWeb ist in meiner Firma z.B. konzernweit gesperrt, d.h. zentrale Funktionen von Post.news funktionieren dort überhaupt nicht. Man kann u.a. nicht kommentieren, nicht einmal bei sich selbst, keine fremden Kommentare sehen, auch nicht bei anderen, und nicht einmal sehen, wo es überhaupt Kommentare gibt.)

Substack Notes habe ich ebenfalls ausprobiert, aber ich kann hier nicht viel dazu schreiben, weil ich es nicht verstehe. Substack selber vermittelt eigentlich kostenpflichtige Newsletter, die per E-Mail verschickt werden, und Substack Chat gibt es auch noch. Wie Substack Notes mit alledem zusammenhängt, müssen sich Leute anschauen, die anders als ich von so schlimmen Wörtern wie „Newsletter“ und „E-Mail“ nicht schon maximal abgeschreckt sind. Dazu kommt noch die Problematik, dass Newsletter-Vermittlung eine Infrastrukturleistung ist, während sowas wie Substack Notes ein soziales Netzwerk darstellt, bei dem ohne Moderation die Kultur verrottet. Chris Best hat hier noch kein Konzept vorgelegt, wie das auf einer Plattform vereinbar sein soll, und er steht in den sozialen Medien dafür auch sehr unter Kritik. Es gibt deswegen regelrecht Kampagnen gegen Substack. Ohne Elon Musk wäre Substack allerdings eh wohl kaum ein Thema. Aber erst hat der seine eigene „Revue“-Plattform für Newslettervermittlung (die er mit Twitter zwangsweise mit eingekauft hatte) eingestellt — was die Leute zu Substack trieb — und dann hat er Substack torpediert, indem z.B. alle Twitter-Suchen, die „Substack“ im Text enthielten, auf eine Suche nach „Newsletter“ umgeleitet wurden. Tweets mit Substack-Links wurde da dann natürlich auch noch herausgefiltert, und stieß man trotzdem auf anderem Wege auf sie, konnte man sie weder liken noch retweeten. Eine vergleichbare Werbung hatte Musk auch schon mal für Mastodon und Nostr gemacht, indem er Tweets mit Links auf diese Plattformen verboten (und sogar technisch unterdrückt) hatte. Bei allem ist er dann aber immer wieder zurückgerudert.

Apropos Nostr. Hier jetzt schon zweimal erwähnt, also schreibe ich dazu auch kurz was: Nostr habe ich tatsächlich auch ausprobiert, und Ihr überspringt beim Lesen vielleicht doch am besten diesen Absatz komplett, denn der wird zwangsweise wild: Nostr hat nämlich ein SSI-Anmeldesystem (self-sovereign identity), d.h. man muss für seinen Anmelde-Key (nsec) die Security (= niemand kann ihn ausspähen), die Safety (= man kann ihn nicht verlieren) und die Accessibility (= man kommt ran, wenn man ihn braucht) selber gewährleisten. Username und Passwort gibt es nicht. Auch Server oder „Instanzen“ gibt es nicht. Der eigene Client baut sich seine Sicht aus den Events zusammen, die er direkt in den bei sich konfigurierten „Relays“ (Eventdatenbanken) findet. Events werden auch nicht geroutet, d.h. man muss die richtigen Relays einstellen. Ich weiß noch, wie viele Leute plötzlich einen Hex-Key teilten, über den man ihnen bei Nostr folgen sollte. Ich musste den jeweils (per „docker run –rm ghcr.io/rot13maxi/key-convertr:main –kind npub Hex-Key“) in einen „bech32 encoded NIP-19 key“ (npub) konvertieren, damit ich über den dann in der Nostr-Suche (ein passendes Relay vorausgesetzt) die „NIP-05 id“ finden konnte, mit der sich der User an irgendeiner Domäne verifiziert hatte. Mangels Server (Nostr ist nur das Event-Protokoll) geht das nicht anders. Verwirrend wird es, weil man für ein Profil im Web natürlich auf irgendeinen Web-Client verweisen muss. Ich habe (wie das offenbar alle so tun) meine NIP-05 id z.B. bei einem Web-Client (der das kostenlos anbot) — iris.to –, verlinke aber für meine Nostr-Profilseite auf einen anderen — snort.social — (der besser aussieht und andere Relays hat). Was ist in Wirklichkeit benutze, ist aber eine native iOS-App — Damus. Ich muss somit wohl niemandem erklären, dass Nostr nicht für jede:n geeignet ist. Ich kam mir jedenfalls ziemlich blöd vor, dass ich so lange gebraucht hatte, um das alles zu verstehen, und ich denke, dass viele vorher aufgeben werden. Außerdem ist das Ziel nicht sehr verlockend: Partizipation in einem Netzwerk, bei dem alle das Wort Bitcoin in ihrem Profil stehen haben. Also alle außer mir. Maßgeblich finanziert wird die Entwicklung des Nostr-Protokolls übrigens von Jack Dorsey, dem ehemaligen Twitter-CEO. Mit Bitcoin.

Apropos Jack Dorsey: Mit dem verbindet man heute am ehesten Bluesky, obwohl ja eher Jay Graber dahinter steckt und sich Jack Dorsey inzwischen mehr um Nostr kümmert. Bluesky habe ich wiederum noch nicht ausprobiert. Und anders als bei Spoutible habe ich auch bisher nix dazu recherchiert. Ich fürchte also, da müsst Ihr selber gucken, wenn Euch das interessiert. Ich weiß nur, dass Bluesky auf dem The AT Protocol basiert, hinter dem eben wiederum auch Jack Dorsey steckt, der das als Projekt bei Twitter mal mit angestoßen hatte. Ich stehe bei dem gleichnamigen Dienst auf diversen Wartelisten (es gibt mindestens eine allgemeine, wo man nur eine E-Mail-Adresse angeben muss, und es gab irgendwo auch mal eine, bei der man zusätzlich einen Substack-Profil-Link und ein Twitter-Handle angeben musste, was ich ebenfalls getan hatte), bin aber bisher nicht berücksichtigt worden. Vielleicht zum Glück. Denn eigentlich bin ich gar kein Early-Adopter-Typ, und das ist außerdem womöglich wieder so ein komplexes Ding wie Nostr oder das Fediverse, das dem Großteil der Menschheit eh verschlossen bleiben wird. Für mich ist es andererseits aber schon deshalb interessant, weil es eben auch irgendwas Dezentrales ist, was ich vom Konzept her verstehen möchte.

Ansonsten noch im Hype ist gerade t2.social, aber das habe ich auch noch nicht ausprobiert. Es ist gefühlt zwar immer mehr die Rede davon, aber mich schreckt ab, wenn etwas wie „Twitter 2“ klingt.

Hive Social hingegen hatte ich schon vor einiger Zeit mal ausprobiert. Es war damals nur eine Handy-App, und ich hatte meinen Account wieder gelöscht, weil sie sehr in Verruf geraten war. Wegen erheblicher Sicherheitslücken war der Dienst auch wochenlang nicht verfügbar. Ob er heute noch eine Rolle spielt, weiß ich nicht. Er erschien auf der Bildfläche etwas eher als t2.social. Ich glaube sowieso, dass die meisten dieser neuen Dienste sehr sehr flüchtig sein werden. Wie schnell t2.social wieder verschwindet, werden wir sehen. Hive Social ist gefühlt schon wider weg. Es war eher in der Anfangszeit nach der Musk-Übernahme von Twitter neben Tumblr, Post.news und Mastodon im Hype.

Tumblr übrigens ist ganz und gar nicht neu. Das hatte ich schon vor vielen Jahren mal benutzt. Es gehört heute Automattic, denen auch wordpress.com gehört, wo dieses Blog liegt. Automattic hat jüngst ein bekanntes ActivityPub-Plugin für die WordPress-Software aufgekauft und will auch die Tumblr- und wordpress.com-Dienste ins Fediverse bringen. Dann wäre auch dieses Blog im Fediverse, und man könnte diesen Kurztext hier per Mastodon lesen. Klingt sinnvoll, oder?

Ok, Stichwort Kurztext, ich komme zum Ende. Mein Fazit für heute ist:

1. „Micro-Blogging ohne Fediverse“ (so der Titel dieses Blogeintrags) ist derzeit nicht sinnvoll, weil es gerade keine taugliche und zugleich angesagte Plattform gibt.

2. Micro-Blogging im Fediverse ist immerhin etwas sinnvoller geworden, weil sich Apps und Kultur zumindest in der Mastodon-Ecke deutlich verbessert haben. In anderen Ecken ist sie hingegen verrottet, wie z.B. der Hashtag #ItsAlwaysPleroma zeigt, dem man oft im Zusammenhang mit #FediBlock und #DarkFedi begegnet.

3. Andere Dinge im Fediverse zu machen, wie z.B. Fotostreams, ist aktuell überhaupt gar nicht sinnvoll, weil das Fediverse mit den heutigen Protokollen keine sinnvolle Klammer um Instanzen ist, die irgendwelche Software fahren. Durch die Föderation kann sich hier keine distinguierte User Experience entwickeln.

Wir werden sehen, was die Zukunft bringt. Für die meisten Menschen sind die eigentlichen Fragen der Zukunft auch gar nicht Föderation oder Dezentralismus, sondern eher die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf die zentralistischen Großplattformen, sowie die wachsende Bedeutung von Videoformaten. Das sind allerdings zwei Dinge, die mich persönlich vorerst überhaupt nicht interessieren.

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Die kürzest mögliche Anleitung zu Mastodon

Aufgabenstellung: Du kennst Twitter und willst herausfinden, was dieses „Mastodon“ ist, von dem Du gehört hast.

Lösung: Du googelst danach und findest sofort dies heraus: Die Mastodon gGmbH ist eine gemeinnützige Firma, die

Warte, klick jetzt nicht auf diese Links! Die sind egal, und das war jetzt auch nicht die im Titel versprochene „kürzest mögliche Anleitung zu Mastodon“. Lass mich erst nur noch einen Nachtrag machen:

Wenn Du Pech hast, hast Du beim googeln auch erfahren, dass es auch andere juristische Personen (Privatleute, Vereine, usw.) gibt, die

Tipp: Probier, wenn überhaupt, einfach irgendwas. Ich selber

  • habe bei dem oben genannten Dienst https://social.tchncs.de seit 10.04.2017 einen Account (zu Testzwecken)
  • benutze heute (damals hatte ich noch Android) alle drei der oben genannten iOS/iPadOS-Apps („Toot!“, „Metatext“ und „Mastodon“)
  • und habe bei dem Dienst https://mastodon.social seit 20.08.2018 einen Zweit-Account (auch nur zu Testzwecken)

Das war jetzt immer noch nicht die kurze Anleitung, denn Empfehlungen zu Dienst und App kann ich Dir überhaupt gar nicht geben. Ich finde nämlich alles blöd, was ich je gesehen habe, und es wurde in den letzten mehr als 5,5 Jahren auch nichts besser.

Was insbesondere kompletter Schwachsinn ist, ist das gesamte Konzept. Der gewählte Dienst liefert einem die Identität / den Handle (@user@dienst.irgendwas), die/der sich somit ändert, wenn man umzieht (den Dienst wechselt). Die Auswahl des Dienstes (genannt „Mastodon-Instanz“, wenn der Dienst die Mastodon-Software verwendet) sollte nach sowas wie versprochener Verfügbarkeit, Performance, Skalierbarkeit, Nachhaltigkeit, Support, dem Moderationskonzept und dem Finanzierungsmodell gehen, was man aber alles ja gar nicht beurteilen kann. Beworben werden Instanzen deshalb stattdessen oft nach Themen (!), um die es da schwerpunktmäßig angeblich gehen soll. Und in der Tat können manche ältere Apps (die offizielle aber nicht) auch anzeigen, welche Toots die User der Instanz insgesamt absetzen. Mit der oben genannten App Toot! kann man sogar in diese sog. „local timelines“ von beliebigen Instanzen reinschauen, ohne dort einen Account zu haben. Man kann in der App sozusagen Instanzen sammeln und durch sie hüpfen wie durch Chaträume im frühen Internet. Interagieren (boosten, liken, kommentieren, folgen, usw.) kann man mit den Toots / den Usern dort trotzdem. (Hierzu findest Du beim googeln das Schlagwort „Fediverse“.) Hat man in mehreren der Instanzen eigene Accounts, wird man von der App gefragt, als wer man jetzt interagieren möchte. Was man aber tatsächlich nirgends findet, sind diese angeblichen „Themen“.

Falls Du Dich jetzt fragst, ob Du das wirklich noch selber ausprobieren möchtest, und insbesondere, was das denn überhaupt mit Twitter zu tun habe: Die Antwort ist einfach: nichts. Das Wesen von Twitter ist seine Kulturkampfigkeit. In Deutschland sind da hauptsächlich Journalisten, Trolle und Nazis, und als kleiner User möchte man möglichst passiv teilnehmen, weil man zu jedem eigenen Tweet die Reaktionen fürchtet. Man folgt vielen riesengroßen Accounts und einigen kleinen hyperaktiven Spinnern, die uns mit ihren Impulskontrollschwächen ein Taschenuniversum erzeugen (diese beiden Wörter habe ich aus Wie Twitter sterben wird von Marcel Weiss geklaut). Ein Taschenuniversum, in dem wir uns bestätigt fühlen, was uns wiederum ein Gefühl von Relevanz verschafft, wie es auch der Konsum von Taskshows im Fernsehen tut. Wirkliche Reaktionen auf eigene Tweets gibt es bei Twitter aber seit Jahren nur noch von persönlich Bekannten. Und wenn man dann doch mal was schreibt, dann hauptsächlich, um sich über irgendwas zu empören. Diese Empörungskultur ist in die DNA von Twitter eingebaut.

Mastodon hingegen ist — wie ich es kürzlich über einen Mastodon-basierten Dienst ins Fediverse schrieb — „ein von Nerds beherrschtes und in deren Freizeit als Hobby betriebenes Gemurkse von Instanzbetrieb und Softwaregepansche“. Man kann auch gar nicht „im Fediverse sein“. Das Fediverse ist im wesentlichen nur ein Föderations-Protokoll (ActivityPub) für die Kommunikation zwischen den Diensten. Oder wie Michael Seemann es formuliert: „mastodon ist halt nur struktur und keine öffentlichkeit.“. Das ganze Fediverse ist nur Struktur. Und damit ist nicht gemeint, dass es nur noch nicht besiedelt ist. Nein, der gesamte Möglichkeitsraum ist nahezu leer und wird es auch bleiben. Eine solche Art von Dezentralität kann grundsätzlich nicht funktionieren. Nicht bei Social Media. (Außer vielleicht, man will selbst einen Dienst im Fediverse betreiben. Dann freut man sich natürlich, dass es Software dafür gibt.)

Nun gut. Dennoch hier nun also wirklich endlich die „kürzest mögliche Anleitung zu Mastodon“: Probier es ggf. einfach aus (um das tun zu können, weißt Du schon mehr, als Du wissen musst), aber erwarte nix. Denn da ist nix. Ich selber mache seit mehr als 5,5 Jahren immer wieder — wie ich es ebenfalls kürzlich im gleichen Mastodon-Thread schrieb — „vorbehaltlose Experimente mit der sich verändernden User Experience (neue Apps mit anderen Use Cases) und dem, was das alles inhaltlich (diese verstreuten Belanglosigkeiten und ihre ewige Sinnlosigkeit) mit mir macht“. Aber es macht mir immer nur Frust. „Im Grunde verschwenden wir hier alle nur unsere Zeit.“ schrieb ich dort auch noch. Das bringt es auf den Punkt.

Andere machen natürlich andere Erfahrungen. Und andere schreiben auch bessere Anleitungen. Vielleicht musst Du also ggf. doch nochmal googeln. Vielleicht aber auch besser nicht.

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Thunderbolt und Lightning

Ich schreibe jetzt mal über was, von dem ich so richtig keine Ahnung habe:

Zwei Kolleg*innen haben heute neue Notebooks bekommen, die nun AMD Ryzen statt Intel Core CPUs haben. Die können daher nun unsere USB-C-Dockingstationen nicht mehr nutzen, weil die für Intel-Notebooks waren, und Ryzen-Notebooks keine Thunderbolt-Dockingstationen unterstützen. Zumindest nicht bei dem Hersteller, von dem unsere Notebooks sind.

Ich erstmal googeln: Thunderbolt.

Ein befreundetes Paar zeigte uns kürzlich beim Abendessen ein Tablet mit USB-C-Anschluss und eine Kamera mit Micro-B-Anschluss. Sie würden gar nicht die Speicherkarte aus der Kamera nehmen und ins Notebook stecken, sondern die Geräte mit einem Kabel verbinden, erzählten sie uns.

Ich erstmal googeln: Micro-B.

Verstanden habe ich, dass USB-A, Micro-B und USB-C Steckerformen sind, sowie Thunderbolt 3 und USB 3.1 Protokolle.

Und sog. Standards, die diese Protokolle sprechen, die gibt es auch noch: USB4 z.B. spricht u.a. Thunderbolt 3 (bis 40 GBit/s) und USB 3.1 (bis 10 GBit/s). USB4 spricht auch noch ein anderes USB-Protokoll mit ebenfalls bis 40 GBit/s, und Thunderbolt 4 gibt es außerdem auch noch. Aber auch wenn z.B. „Thunderbolt / USB4“ draufsteht (wie beispielsweise bei den Apple Macbook Air von 2020 und von 2022), ist meist trotzdem nur Thunderbolt 3 und USB 3.1 drin, weil ein Standard an den Geräten nicht alle seine Protokolle tatsächlich unterstützen muss.

Die Steckerform bei Thunderbolt 3 (auch selbst ein Standard) ist USB-C. Ebenso bei USB4. Ältere Kabel mit USB-A oder Micro-B-Steckern sprechen nur USB 3.1. Ich kenne das von meinen externen Festplatten. Die haben als Steckerform Micro-B an der Platte und USB-A am anderen Ende des Kabels.

Beim googeln bin ich dann sogar auf Leute gestoßen, die solche externen Festplatten an ein altes iPad mit Lightning-Anschluss angeschlossen haben. Lightning ist Steckerform, Protokoll und Standard in einem, und der Standard spricht kein anderes Protokoll. Man braucht ein externes Gerät, einen sog. Protokollkonverter, der das Lightning-Protokoll in das USB-Protokoll übersetzen kann. Man verbindet mit einem Kabel den Konverter mit dem iPad, mit einem anderen Kabel den Konverter mit dem Netzteil des iPads (!) und mit einem dritten Kabel den Konverter mit der externen Platte. Die USB-C-Buchse am Konverter wird dort also für die Stromversorgung der externen Platte benutzt.

Seit etwa 4 Jahren haben die meisten iPads natürlich selber eine USB-C-Buchse und sprechen auch selber das USB-3-Protokoll, nur habe ich eben kein so ein Gerät, sondern halt noch Lightning. Meine On-Ear-Kopfhörer, mein E-Book-Reader, meine Waage und meine Kamera haben sogar noch „Micro-USB“-Buchsen! Das ist optisch so ein halbes Micro-B, was deshalb aber auch nur USB 2.0 sprechen kann. Nur meine In-Ear-Kopfhörer, das iPad-Netzteil und natürlich mein berufliches Notebook haben bereits eine USB-C-Buchse.

Warum Ryzen-Notebooks nun keine Thunderbolt-Dockingstationen unterstützen, habe ich aber immer noch nicht verstanden. Geht es darum, dass zwei externe 4K-Bildschirme über ein einziges Kabel versorgt werden müssen? Sprechen die Dockingstationen für Intel-Notebooks also nur Thunderbolt und die für Ryzen-Notebooks nur ein anderes schnelles USB4-Protokoll?

Dafür, dass die Thunderbolt-Protokolle inzwischen eigentlich in den USB4-Standard integriert wurden (Thunderbolt also als Standard nicht mehr eigenständig weiterentwickelt wird), ist das ganz schön peinlich. Ob das bei anderen Notebook-Herstellern auch so ist, habe ich dann aber nicht mehr gegoogelt. Und auch warum unterschiedliche Kabel mit USB-C-Steckern unterschiedliche Protokolle unterstützen, oder eben nicht, habe ich nur mitbekommen, aber nicht verstanden. Ginge das alles nicht auch ein bisschen einfacher?

In der Praxis ist es allerdings oft auch tatsächlich sehr einfach. Meine Frau z.B. hat USB-C an Kamera und iPad und zieht das Ladekabel des iPads einfach aus dem Netzteil und steckt es in die Kamera, um dessen RAW-Dateien nach Lightroom zu importieren. Ganz ohne Adapter, Konverter, Kartenleser oder irgendwelche zusätzlichen Kabel. Ich weiß daher sicher, dass ich mein iPhone erst ersetzen werde, wenn es ein Modell gibt, das kein Lightning mehr hat. Dessen Zeit ist einfach abgelaufen. Und wenn ich das richtig verstanden habe, erlaubt die EU ab Ende 2024 eh keine Lightning-Buchsen mehr. Apple wird daher wohl bereits Ende 2023 weltweit auf USB-C / USB4 an allen Geräten umstellen. Und die Thunderbolt- und Lightning-Protokolle kann man ja auch über USB4-konforme USB-C-Buchsen weiter unterstützen. Wir werden sehen, das da kommt.

„Thunderbolt and Lightning, very, very frightening me“ (Bohemian Rhapsody, Queen, 1975)

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Ende der Maßnahmen

Es gibt Länder, da hat die Politik ein Datum gesetzt. Ist der genannte Tag erreicht, bedeutet er das Ende aller Maßnahmen. Nicht-pharmazeutische Maßnahmen im Zuge der Covid-19-Pandemie — wie Kontaktbeschränkungen und sowas — gibt es dann einfach nicht mehr.

In Deutschland gibt es so ein Datum aktuell nicht, zumindest habe ich davon nichts mitbekommen. Hier wurde ja auch bisher in allen Phasen dieser Pandemie immer erstmal irgendwie „auf Sicht gefahren“, so dass es verwunderlich wäre, wenn plötzlich etwas passiert, was auch nur im Entferntesten nach Strategie oder nach einem Ziel aussieht. Wer heute trotzdem versucht, in die politische Zukunft zu orakeln, dürfte daher meistens zu der Vermutung kommen, dass uns hierzulande sowas wie 3G-Nachweispflicht und Maskenpflicht in bestimmten Bereichen noch mindestens bis Frühjahr 2022 erhalten bleiben werden. Vielleicht auch viel länger. Man möchte eben weiterhin „auf Sicht fahren“, da man was anderes nicht denken kann. Vielleicht, weil man auch überhaupt gar nicht denken möchte.

Ich wünsche es mir aber. Also das Denken. Aber vor allen Dingen das Schlussdatum. So ein Schlussdatum wie in diesen anderen Ländern. Ich wünsche mir ein Schlussdatum für alle Corona-Maßnahmen. Ein Schlussdatum für Maskenpflicht, für Testpflicht und sogar für den Druck, sich impfen zu lassen. Und erst recht natürlich für Kontaktbeschränkungen. Am besten ein und dasselbe Schlussdatum für alle diese Dinge. Mit dem Übergang vom pandemischen ins endemische Infektionsgeschehen ist es irgendwann Definitionssache, ob wir noch in der Pandemie sind oder nicht. Und dann kann man auch definieren, wann es vorbei ist. Und damit, dass es vorbei ist.

Im Grunde war diese Pandemie ja auch bisher schon Definitionssache. Pandemie war, wo ohne Maßnahmen „Überlastung des Gesundheitssystems“ drohte. Da hatte man dann einige Menschen durch irgendwelche Maßnahmen vor dem Virus beschützt, und einige auch nicht. Hauptsache die „Überlastung“ ging ein bisschen zurück. Dass man willkürlich einige Menschen lange vor dem Bestehen von Impfangeboten vorsätzlich erkranken ließ, fand man ok. Dass man mit den Maßnahmen ebenfalls vorsätzlich und willkürlich einige Menschen direkt schädigte, und andere nicht, fand man auch ok. Wer sowohl von dem Virus als auch von den Maßnahmen weniger bedroht war als andere, war halt besser dran als andere. Und die Leute, die die Maßnahmen beschlossen haben, waren immer besser dran. Im Grunde ging es nur um den Schutz des ökonomischen Systems. Die einen opferte man dem Virus, die anderen den Maßnahmen, um insgesamt möglichst nichts ändern zu müssen. So war das. Im Rückblick könnte man auch sagen: So war das „notwendig“.

Inzwischen sind wir aber in einer Phase der Pandemie angekommen, wo kurzfristige und gute Impfangebote für nahezu jeden verfügbar sind. Man muss nicht einmal viel abwägen. Die Entscheidung für eine Impfung ist naheliegend und risikoarm, sowie nahezu flächendeckend für jeden auch ohne Termin umsetzbar. Eine Rechtfertigung, mit nicht-pharmazeutischen Maßnahmen auf die Menschen einzuprügeln, gäbe es nur noch, wenn trotz Impffortschritts ansonsten erneut eine „Überlastung des Gesundheitssystems“ drohte. Wer sich mal mit den Zuständen in einem Krankenhaus oder auf einer Pflegestation beschäftigt hat, wird sich allerdings verwundert fragen, wann das Gesundheitssystem denn jemals nicht überlastet war (und warum das Ganze überhaupt noch „Gesundheitssystem“ heißt, aber das ist ein anderes Thema). Auch das ist nämlich reine Definitionssache. Jedenfalls sind inzwischen keine von den bisherigen Maßnahmen für eine Überlastungsvermeidung mehr „notwendig“. Denn die Entscheider sind jetzt alle geimpft.

Damit klar wird, dass ich das alles ernst meine, möchte ich hier nun noch kurz auf drei Dinge separat eingehen, um sie näher zu begründen — nämlich auf den Impffortschritt, die Maskenpflicht und auf die mit der Testpflicht verbundene Markierung von Menschen — bevor ich dann mein Fazit präsentiere.

Zum Impffortschritt:

  • Ich verstehe, dass sich viele Leute zwar impfen lassen würden, und eigentlich auch längst wollten, aber bisher irgendwie nicht in die Puschen kamen. Ja, die brauchen einen Arschtritt. Ich verstehe auch, dass sich viele Leute von Falschinformationen über das Impfen leiten lassen. Ja, die müssen auf den Pott gesetzt werden. Motivation und Aufklärung sind Hilfen, die man nicht verweigern darf, denn mit der Impfung schützt man sich nicht nur selber vor einem schweren Krankheitsverlauf, sondern man schützt insbesondere andere. Außerdem ermöglichen Impfungen mehr menschliche Kontakte auch während der pandemischen Hochphasen, und zwar für alle. Sie ersetzen ansonsten notwendige nicht-pharmazeutische Maßnahmen.
     
  • Es gibt aber eben auch Menschen, die ihre Entscheidung bereits getroffen haben und diese auch informiert getroffen haben, und deren Entscheidung nur eben anders ist, als man das gerne hätte. Das ist dann einfach so. Da letztendlich jeder medizinische Eingriff (und darum handelt es sich bei einer Impfung) am Ende immer alleine von der betroffenen Person verantwortet wird, kann ich nicht verstehen, wie man diese Entscheidung nicht akzeptieren kann. Man muss das sogar respektieren und nicht nur tolerieren. Es ist immer eine individuelle Abwägungssache. Ich hatte mich seinerzeit für eine Impfung entschieden, aber das macht mich nicht besser als andere, die sich genauso bewusst und informiert bisher dagegen entschieden haben.

Zur Maskenpflicht:

  • Ich trage, wenn ich in Innenräumen auf andere Leuten treffe, immer frische FFP2-Masken (eben der anderen Leute wegen), und kann auch gut darin atmen (habe selber kein Problem damit). Ich finde den Anblick aber immer noch traumatisierend, wenn in einer Gruppe von Menschen alle mit Maske herumlaufen. Und ich finde die Vorstellung schlimm, dass sich jemand vielleicht von seiner Maske eingeengt fühlt, diese aber auch in Panikattacken nicht absetzen darf. So langsam wird sogar Einkaufen für mich zum Problem, weil ich die Maskenpflicht zunehmend nicht mehr aushalte. Und es geht damit nicht einmal um mich. Es geht darum, was die Maskenpflicht mit uns allen macht.
     
  • Ich glaube nämlich immer mehr, dass wir eigentlich längst alle ein immer größer werdendes Problem mit den Masken haben, ob nun mit dem Tragen oder dem Anblick oder etwas anderem. Außerdem sind wir ja allgemein auf den Austausch von Viren untereinander auch gesundheitlich angewiesen. Der Vorteil, den Zeitpunkt der ersten Infektion mit SARS-CoV-2 noch etwas zu verschleppen (weil wir da noch nicht wirklich im endemischen Geschehen angekommen sind), wird so langsam von dem Nachteil übertroffen, dass die Immunisierung gegen andere Krankheiten zu lange unterbleibt. Man erkrankt dann früher oder später an etwas anderem schwer, was doch auch keine Lösung ist.

Zur Markierung von Menschen:

  • Ich weiß noch, wie mir schlecht wurde, als ich die Strichcodes an den Wohnblöcken in Grünhöfe gesehen hatte (das ist ein Armenviertel in Bremerhaven). Und wir mir aus dem gleichen Grund schlecht wurde, als wir All-inclusive-Teilnehmer auf der Klausurtagung uns für den Zugang zum Buffet mit einem nicht unzerstört ablegbaren Bändchen markieren sollten. Ich ertrage es einfach nicht, wenn Menschen direkt oder indirekt markiert werden. Ich weiß auch noch, wie entsetzt ich war, als mir bei einem Besuch in einem Pflegeheim eine Pistole an den Kopf gesetzt wurde, um ungefragt meine Körpertemperatur zu messen. Oder wie entsetzt ich war, als ich mich für den Zugang zum Frisör oder zum Büro plötzlich testen lassen musste. Spoiler: Ich habe das Pflegeheim nie wieder betreten, und auch nie eine Location, für die ich einen Test gebraucht hätte. Ich würde es einfach nicht ertragen, getestet zu werden. Das ist Klassifikation nach personenbezogenen medizinischen Daten.
     
  • Ein „blaues Bändchen für Geimpfte“ zu tragen (in Zügen und in der Gastronomie in Frankreich, aber auch in einem Freizeitpark in Deutschland war das mal ein Thema), würde mir wahrscheinlich trotzdem nichts ausmachen, obwohl es die beiden Aspekte des vorgenannten Punktes vereint (sichtbare Markierung von Menschen aufgrund von personenbezogenen medizinischen Daten). Das liegt aber wahrscheinlich an der Vorbildfunktion des Geimpftseins und an der Wichtigkeit einer hohen Impfquote. Ich finde es aber richtig, dass diese Praxis jeweils Skandale ausgelöst hat. Es sind Skandale!

Mein Fazit:

  • Ich bin gegen die Diskriminierung von Ungeimpften (siehe „Zum Impffortschritt“), gegen ein Fortbestehen der Maskenpflicht (siehe „Zur Maskenpflicht“), und ich bin generell gegen das Testen und Markieren von Menschen (siehe „Zur Markierung von Menschen“). Sobald ein gewisser Erstimmunisierungsfortschritt in der Bevölkerung vorhanden ist, also das Geschehen zunehmend endemisch wird, müssen wir aufhören, einen 3G-Nachweis zu fordern, bzw. sogar verbieten, dass er irgendwo gefordert wird. Es geht niemanden etwas an, ob jemand geimpft, getestet oder genesen ist oder auf anderem Wege zu Antikörpern oder anderen Immunantworten gekommen ist (z.B. durch unentdeckt durchgemachte Infektionen oder durch Medikamente). Das sind personenbezogene medizinische Daten!
     
  • Wenn diese 3G-Sache zu lange geht, internalisieren außerdem zu viele Menschen den Generalverdacht gegen Viren als schädlich und gegen andere Menschen als deren Überträger. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Der enge Kontakt mit Menschen mitsamt all ihren Viren ist extrem wichtig für unser Immunsystem und unser aller Gesundheit. Und ist mal jemandem aufgefallen, dass man für einen 3G-Nachweis immer seinen Personalausweis vorzeigen muss? Wann ist es plötzlich ok geworden, sich nicht mehr anonym bewegen zu können?

Wenn wir die Pandemie für beendet erklären, weil das eh Definitionssache ist, und alle nicht-pharmazeutischen Maßnahmen streichen, wären alle diese Probleme gelöst. Ja, ich weiß auch, dass noch ein harter Winter 2021/2022 kommt, was Erkrankungen angeht. Aber ich bin überzeugt, dass fortbestehende nicht-pharmazeutische Maßnahmen zu Corona alles nur noch schlimmer machen würden. Es muss ein Schlussdatum geben, und es muss das bald geben. Eine Herdenimmunität kommt eh nie, und eine Grenze zwischen pandemischem und endemischem Geschehen wird man auch nicht messen, sondern auch wieder nur definieren können. Wenn wir die Pandemie jetzt nicht bald für beendet erklären, wird sie nie enden, weil sie in den Köpfen der Leute dann zum Selbstläufer wird und immer weiterbesteht. Wir müssen den Geist wieder einfangen, den wir aus der Flasche gelassen haben, so lange wir es noch können! Vollständig. Und so bald wie möglich. Die Länder, in denen die Politik ein Datum gesetzt hat, an dem alle Maßnahmen ganz eingestellt werden, machen es richtig. Ich möchte das auch für Deutschland.

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Was ist eigentlich aus ipernity geworden?

Wieso frage ich das?
These: Ich frage das, weil ipernity in den Nuller Jahren eine interessante kommerzielle Fotoplattform war, die eine gute Alternative zu flickr anbot. Auf meiner flickr-Profilseite steht noch heute „I left flickr in October 2008 and returned in January 2012. In between I was on ipernity (that I finally left in November 2012).“ Mein erstes Foto bei ipernity hatte ich in der Tat 2008 dort hochgeladen, und mein Profilbild dort ist noch heute ein Ausschnitt aus diesem Foto. Vor 2008 und nach 2012, also um ipernity herum, war ich jeweils jahrelang bei flickr. Ich hatte ipernity damals wieder verlassen, weil die Plattform von den Entwicklern zerschrottet wurde. Aber das ist lange her.

Und was ist nun aus ipernity geworden?
These: Die Firma ging irgendwann pleite, und ein Verein hat es übernommen, die alte Software weiter zu betreiben. Dazu kann man z.B. diese Pressemitteilung finden. Ich bin sehr dankbar darüber, dass die Plattform gerettet wurde. Dadurch kann ich mir heute immer noch angucken, was ich damals fotografisch so gemacht hatte. Ein Offline-Archiv habe ich nämlich nicht.

Wenn ipernity also nun ein Verein ist, wo kann man dann sehen, wer im Vorstand ist und solche Dinge?
These: Der Verein präsentiert sich wohl nur in ipernity selbst, und das dort in Form eines normalen Users. Er hat den Namen ima.team und wie jeder andere User auch u.a. eine Einstiegsseite und eine Profilseite. Und auf der Profilseite sind die Personen mit besonderen Verantwortlichkeiten genannt. Darunter sind von der Mitgliederversammlung Gewählte und von den Gewählten Benannte. Vereinsmitglied ist jeder zahlende User!

Sind diese besonderen Verantwortlichkeiten irgendwo näher beschrieben, damit man sich das besser vorstellen kann?
These: Der Verein kommuniziert, weil er sich eben in Form eines normalen ipernity-Users präsentiert — wie jeder andere User auch — über drei Streams: Fotos, Artikel und Dokumente. Zu den Details der Verantwortlichkeiten findet man diesen Blogeintrag. Man kann darin gut nachlesen, was da (ehrenamtlich!) für Aufgaben gestemmt werden. Ich finde es schon bewundernswert, dass sich Leute finden, die solche Aufgaben übernehmen.

Wenn sich der Verein ipernity also nur in der Plattform ipernity abbildet, wie macht er dann Mitgliederversammlungen und sowas?
These: Schaut man die Liste der Gruppen an, in denen der User ima.team aktiv ist, findet man die Gruppe ipernity-Mitgliedervollversammlung. Über eine andere Ansicht dieser Gruppe, kommt man zu einem „Willkommen! / 2020“-Thread mit 199 Kommentaren. Ich glaube, dort fand die letzte Mitgliederversammlung statt.

Wie muss man sich das vorstellen, dass eine Mitgliederversammlung in einer statischen und editierbaren Webseite stattfindet?
These: Offenbar ist es so, dass derjenige, der gerade „spricht“, einfach in den Thread schreibt, während alle anderen Teilnehmer laufend F5 drücken (= den Refresh-Button ihre Browsers klicken) und die Protokollant:in immer wieder Screenshots macht. Diese Screenshots werden dann hinterher über den Dokumente-Stream von ima.team in einem PDF bereitgestellt und in einem Ergebnis-Thread in der Mitgliederversammlungs-Gruppe verlinkt.

Und wo machen die Teilnehmer während der Mitgliederversammlung ihren Klönschnack?
These: Dafür gibt es in der Gruppe als separaten Thread eine Lounge und zusätzlich einen Channel auf dem in dem Willkommen-Thread (in dem das offizielle Programm stattfindet) verlinkten Discord-Server. Das ist dann doch auf einer anderen Plattform, aber das soll auch so sein. Dadurch bleibt eine Kommunikation auch während möglicher technischer Aussetzer der ipernity-Plattform möglich. Es müssen aber nicht alle Versammlungsteilnehmer auch bei Discord sein, da alles dort nicht Teil der Versammlung ist.

Und wie funktioniert das mit den Abstimmungen?
These: Für jede Abstimmung gibt es einen separaten Thread in der Gruppe, und man schreibt da „ja“ oder ein anderes eindeutiges Einzelwort rein (z.B. „nein“), sobald die Abstimmung eröffnet ist.

Aber warum stelle ich mir eigentlich alle diese Detail-Fragen?
These: Vermutlich, weil ich mich für die nächste Mitgliederversammlung am 28.03.2021 angemeldet habe und dort wohl auch stimmberechtigt sein werde. Ich glaube, man sieht am Kontakte-Netzwerk des Users ima.team, wer 24 Stunden vorab Einblick in bestimmte Dokumente bekommt, und da bin ich auch bei. Aktuell sind das allerdings nur 44 Accounts, und die wohl nicht alles Personen. Keine Ahnung, wie viel mehr das noch werden und wie viele davon dann an der Versammlung auch teilnehmen. Es gibt derzeit wohl so ca. 1.250 zahlende Vereinsmitglieder (davon rund 57% in der EU und in keinem Land mehr als in Deutschland), und jeder davon, der mind. 16 Jahre alt ist und seine Identität nachgewiesen hat, ist teilnahmeberechtigt.

Was steht denn da auf der Agenda am kommenden Sonntag, und ist das irgendwie spannend?
These: Es ist der übliche Kram auf der Agenda wie Entlastung des Vorstands, Berichte von CEO, CFO und Kassenprüfer, Nachwahlen bestimmter Ämter, Satzungsänderungen, Veränderung von Mitgliedsbeiträgen, usw., und nein, es wird wohl nicht spannend werden. Aber was weiß ich schon. Ich hatte von den vergangenen Mitgliederversammlungen nichts mitgekriegt, denn ich hatte bei ipernity lange überhaupt nicht mehr geguckt.

Wie bin ich eigentlich jetzt in 2021 wieder auf ipernity gestoßen?
These: Ich hatte eine Plattform neben flickr gesucht, wo ich Einzelfotos hochladen kann, da ich bei flickr nur Alben hochlade. Und so hatte ich mich an ipernity erinnert. Ich finde es außerdem interessant, ob es möglich ist, so eine Plattform wie ipernity als ehrenamtliches Projekt dauerhaft am Leben zu erhalten. Vorstellen kann ich es mir nicht wirklich, weil alles, was sich nicht ständig neu erfindet, zwangsläufig stirbt, und es in ehrenamtlicher Tätigkeit und in vereinsrechtlichen Strukturen kaum möglich sein dürfte, so eine Plattform in Oberfläche und technischem Unterbau in dem erforderlichen Maße ständig neu zu erfinden, aber den Versuch finde ich trotzdem spannend, da er gemeinnützig und vollkommen nicht-kommerziell ist. Ich habe ipernity deshalb 2021 wieder in meine Kontakt-Seite eingetragen und auch ab und zu mal ein Einzelbild hochgeladen.

Wie geht es jetzt weiter?
These: Erstmal nehme ich jetzt an der Mitgliederversammlung teil. Außerdem lade ich weiter ab und zu einzelne Fotos dort hoch. Wahrscheinlich aber weiter nur neue Fotos und keine vom Handy, d.h. ich muss auch wieder mehr auf Fototouren gehen. Und dann schaue ich mal, was es heutzutage so für aktive Gruppen gibt. Es läuft ja auch gerade ein Projekt bei ipernity, die inaktiven Gruppen zu konsolidieren. Und ich werde mir meine eigenen alten Fotos bei ipernity mal anschauen. Wahrscheinlich ist das lauter gruseliges Zeugs, aber vielleicht auch nicht. Wenn nicht (also wenn ich das selbst nicht erkenne), dann habe ich mich offenbar nicht weiterentwickelt. 😉 Jedenfalls bin ich wie gesagt dankbar, dass es diesen Verein jetzt gibt. Vielleicht ist das goldene Zeitalter kommerzieller amerikanischer Plattformen wie flickr ja auch bald mehr oder weniger vorbei, und vielleicht ist so ein Vereinsansatz am Ende viel nachhaltiger, als ich heute denke.

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Männliche Schwundform

Beim Thema „geschlechtergerechte Sprache“ kommen Klugscheißer* oft mit Lektionen über Genus und Sexus. „Der Bürger“ sei grammatikalisch (Genus) männlich, bedeutungsgeschlechtlich (Sexus) aber neutral, und insbesondere würde das für „die Bürger“ gelten. Frauen und Männer seien damit beide gemeint und niemand bloß mitgemeint. Mindestens im Plural solle man also das generische Maskulinum („die Bürger“) verwenden, weil es sprachlich weniger holperig sei als „die Bürgerinnen und Bürger“. Diese Doppelform sei zudem eine frauenfeindliche sexualisierende Spaltung der Gesellschaft.

Diese Schlussfolgerung überzeugt nicht jede* Klugscheißerin*. Ihr Gegenargument ist, dass Genus und Sexus keine Rolle spielen würden, weil Denotation und Konnotation von „die Bürger“ eben definitiv nicht geschlechtsneutral seien. Es komme darauf an, was in den Köpfen der Leser* ausgelöst wird, also auf ihre Assoziationen und die Pragmatik der Begriffe und nicht auf deren formale Semantik. Das generische Maskulinum würde Frauen nicht nur sprachlich unsichtbar machen und damit ausgrenzen, sondern eben auch in den durch die Sprache ausgelösten Gedanken. Man müsse eine die Geschlechter explizit inkludierende Sprache praktizieren.

Während diese beiden Gruppen sich streiten, ist längst eine neue Ära angebrochen, in der Gender-Inklusion eine zweite Dimension bekommen hat, nämlich die Sichtbarmachung marginalisierter Geschlechter durch den Gender-Stern mit der Schreibweise „die Bürger*innen“. Beim Thema geschlechtergerechte Sprache muss man seitdem sowohl die antipatriarchale als auch die entmarginalisierende Zielstellung berücksichtigen. Die Schreibweisen BürgerInnen, Bürger_innen und Bürger:innen versagen beispielsweise in beiden Dimensionen. Zum einen (antipatriarchale Dimension) repräsentieren und manifestieren sie, dass Frauen etwas von der männlichen Grundform Abgeleitetes seien, und zum anderen (entmarginalisierende Dimension) reproduzieren und perpetuieren sie die Marginalisierung aller anderen Geschlechter.

Ein klassischer Ansatz, die antipatriarchale Zielstellung zu erreichen, ist die Verwendung des generischen Femininums, also „die Bürgerinnen“ zu sagen und damit alle zu meinen. Auf die Frage „Werden so nicht Männer diskriminiert?“ antwortete die Linguistin* Luise F. Push in einem im SZ Magazin veröffentlichten Interview [1] wie folgt: „Bullshit! Zumal die männliche Form im generischen Femininum vorhanden ist, in dem Wort »Lehrerin« steckt der »Lehrer« drin. Im Scherz rede ich von der weiblichen Grundform und der männlichen Schwundform. Aber beim Thema Geschlechtergerechtigkeit denke ich eher in Richtung Reparationen.“. Die Verwendung des generischen Femininums sei für sie* „kompensatorische Gerechtigkeit“.

Das generische Femininum könne auch mit dem Gender-Stern kombiniert werden, ohne dass „der Stern in der Mitte das Wort zerreißt“ und so, „dass die schöne feminine Anmutung nicht zerstört wird“, so Luise Push in jenem Interview. Konkret: „Mein derzeitiger Vorschlag, auch um die Wünsche der Queer-Community miteinzubauen, ist der Genderstern am Ende des Feminimums, also: Lehrerin*, Regentinnen*. Der Stern zeigt an, dass alle Geschlechter gemeint sind, weiblich, männlich, nicht-binär. Grammatisch funktioniert es wie das generische Maskulinum, ohne Doppelformen, Schrägstriche und sonstige Verrenkungen.“

Ich habe das in diesem Blogeintrag mal versucht, anzuwenden. Im Singular würde ich den Stern allerdings auch an die Pronomen anhängen (Die Autorin* hat ihr* Buch vorgestellt.), und im Plural wäre mir das „innen“ zu sperrig (Die Autoren* haben ihr Buch vorgestellt.). Im Plural erscheint mir die männliche Schwundform vor dem Stern auch weniger ein Problem zu sein, da ja der Artikel (die) und die Pronomen (ihr, ihre) auch dann immer noch weiblich sind. Wichtig ist mir, dass die Autorenschaft im Singular ohne eine Geschlechtszuschreibung formuliert wird. Ich habe bisher z.B. immer „die Autor*in“ geschrieben, auch wenn ich einen einzelnen konkreten Mann meinte, was sich aber komisch anfühlte. „Die Autorin*“ wirkt da viel natürlicher. Ich finde, Luise Push hat da einen guten Vorschlag gemacht.

Zum Abschluss noch eine persönliche Anekdote: Die Diplomprüfungsordnung, nach der ich vor 30 Jahren Informatik studiert habe, war damals komplett im generischen Femininum formuliert. Die zuständige Senatorin* in Bremen hatte diese in der ersten Fassung nicht genehmigt, weil sie* ein Mann war. In der zweiten Fassung war deshalb „die Senatorin“ durch „die senatorische Behörde“ ersetzt worden (und alles andere im generischen Femininum belassen), was die Senatorin* dann akzeptierte. Hätte man damals schon einen Gender-Stern angehängt („die Senatorin*“), wäre diese Iteration wohl nicht notwendig gewesen.

Übrigens gab es damals nicht nur noch keinen Gender-Stern, sondern auch noch keine sog. „neutralen Schreibweisen“ wie z.B. „der/die Studierende“. Ich war prüfungsamtlich „eine Studentin“ und hatte mich darin auch wiedergefunden, weil ich gemeint war. Auch heute würde ich Studentin* gegenüber Student*in bevorzugen, weil Letzteres doch wieder die männliche Grundform normalisiert. Der Begriff „der/die Studierende“ lässt sich allerdings auch mit „die Studierende*“ nicht retten, weil das semantisch eine Tätigkeitszuschreibung ist. „Da sitzt eine Studierende*.“ bedeutet, dass da eine* sitzt, die* in dem Moment gerade studiert, während „Da sitzt eine Studentin*.“ bedeutet, dass da jemand* sitzt, der* an der Lehranstalt eingeschrieben ist.

Ich möchte daher abschließend nochmals den Vorschlag von Luise Push loben, also Doppelform und neutrale Schreibweisen zugunsten des generischen Femininums zu meiden, sowie den Gender-Stern anzuhängen anstatt ihn zur Verfestigung der männlichen Schwundform zu missbrauchen. Mit ihrem* Vorschlag werden nicht nur alle Ziele von Gleichstellung und Gender-Inklusion erreicht, sondern ganz viele Probleme anderer Vorschläge gelöst.

[1] »Unsere Grammatik widerspricht dem Grundgesetz« (Süddeutsche Zeitung Magazin, 22.12.2020)
https://sz-magazin.sueddeutsche.de/wissen/luise-pusch-interview-linguistik-89651

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Die Grenze des Erträglichen

Ich wurde gebeten, diesen Text zu kommentieren. Ich habe es versucht, aber ich finde keinen Ansatz. Der Text versprüht in fast jedem Satz die Intellektualität einer BILD-Leser*in und die Kultur einer AfD-Wähler*in. Und damit komme ich einfach nicht klar. Fast alles im Text ist inhaltlich falsch, meist bis ins extremste Gegenteil des Faktischen verkehrt. Es wimmelt von Vorwürfen und Opfererzählungen. Schuld sind natürlich die Regierung und vermeintlich offene Grenzen. Personen werden als „Antimenschen“ diffamiert und „einen Virologen, der sich für den einzig fähigen in diesem Land hält und andere Meinungen beiseite wischt als wäre er allwissend“, greift die Autor*in an, weil dessen Wissen (!) ihrer Meinung (!) widerspricht. Sagen darf man heutzutage natürlich auch nichts mehr („Es werden noch Zeiten kommen, in denen eigene Gedanken einen Strafbestand darstellen.“), und weil das so ist, wiederholt man gleich noch ein weiteres Mal, „das wir uns nach Kriegsende zu keinem Zeitpunkt mit einer unfähigeren Regierung herumrumschlagen mussten“. „Fast ein ganzes Jahr lang werden wir nun mit diesem Wort, diesem Virus, fast in den Wahnsinn getrieben. […] Auf die Worte Corona und Pandemie habe ich bewusst verzichtet“, schreibt die Autor*in. Ach ja, und wenn man Impfgegner „Verweigerer“ nenne, dann sei „die Grenze des Erträglichen erreicht“. Sorry, nein, für mich ist die Grenze des Erträglichen mit so einem Text erreicht.

Soweit meine erste Reaktion. Offensichtlich waren da Trigger im Text, auf die ich angesprungen bin. Der Fairness halber will ich aber auch versuchen, den Text zu verteidigen. Einfach um zu sehen, ob das gelingt.

Wenn ich gebeten werde, einen Text zu kommentieren, frage ich mich als Erstes, was das für ein Text ist. Ist es z.B. ein Rant, dann ist eigentlich erstmal alles erlaubt, ohne dass es mir missfällt. Es ist halt ein Rant, und damit eine bestimmte Ausdrucksform, mit der sich nicht unbedingt die Autor*in als Person, aber auf jeden Fall bestimmte konstruierte Gedanken erstmal mindestens gefühlt unkontrolliert einfach nur Luft verschaffen sollen. Was ich sagen will: Bei einem Rant darf man der Autor*in zunächst auch dann Seriösität und Respekt unterstellen, wenn man im Text das Gegenteil vorfindet. Auch ein humorfrei und als Zumutung gestalteter Rant ist für mich legitim. Die Freiheit der Ausdrucksform finde ich einfach wichtig und das Empfinden der Leser*innen, auch mein eigenes, demgegenüber nachranging.

Aber Rants dürfen trotzdem nicht alles, wenn ich sie zumindest von der Form her akzeptieren soll. Mehr als nur unschön finde ich auch bei Rants z.B. kontextlose willkürliche Beschimpfungen gegen Personen, Ämter oder Institutionen, sowie das Verschmieren von „Meinungsäußerungen“ mit Falschinformationen und Unsinnsprojektionen. Gerade bei letzterem Punkt muss ich mich zwar immer auch an die eigene Nase fassen, denn weder die Deutungshoheit darüber, was „falsch“ ist, noch darüber, was „Unsinn“ ist, liegt ja allein bei mir, aber Informationen und Projektionen sind dennoch etwas anderes als Meinungen. Denn anders als bei Meinungen kann man objektiv untersuchen, wie sie zustande kommen.

Was ich damit meine ist Folgendes: Wir alle lesen und hören Dinge und entnehmen dem Informationen und Inspirationen. Wir alle übernehmen diese nicht blind, sondern benutzen Filtermechanismen, mit denen wir z.B. die Quelle bewerten oder die Rhetorik beurteilen oder den Inhalt analysieren und bestimmen dann durch unser eigenes Denken, wie die Informationen unser Wissen verändern und wie die Inspirationen unsere Meinung beeinflussen. Wir alle sind außerdem emotionale und soziale Wesen, die als Verarbeitungs- und Erklärungs-Mechanismus gerne prominente Personen als Projektionsfläche verwenden.

Und im Grunde ist das ein Zyklus, denn dieses „unser eigenes Denken“ wird ja wiederum dadurch bestimmt, welche Informationen wir in der Vergangenheit an unser Wissen herangelassen haben und welche Inspirationen unsere Meinung beeinflussen durften. Es sind also unsere Filter- und Verarbeitungs-Mechanismen, die auf lange Sicht letztendlich unser pseudofaktisches Wissen und unsere Einschätzung von Personen gestalten. Was wir an äußeren Impulsen filtern und was an inneren verarbeiten wird aber geprägt durch unseren sozialen Umgang, durch die Kultur unseres Umfelds. Wer wir sind — für uns selbst und für andere — bestimmt somit unser Wissen, unsere Meinung und unsere Sicht auf Personen und Ereignisse.

Wenn ich also gebeten werde, einen Text zu kommentieren, dann berücksichtige ich diese Zusammenhänge, indem ich mir immer wieder explizit klar mache, dass Wissen, Projektionen und Meinungen verschiedene Dinge sind, und dass Unterschiede in Wissen und Projektionen viel gravierender sind als unterschiedliche Meinungen, weil sie letztendlich bedeuten, dass sich die Filter- und Verarbeitungs-Mechanismen unterscheiden. Wenn Wissen und Projektionen auseinandergelaufen sind, nimmt man oft Lüge und Hass wahr, wo es gar nicht ist. Man muss vor allen Dingen sich selber sehr davor hüten, dies anderen zuzuschreiben, und sich klarmachen, dass nicht die unterschiedlichen Informations- und Inspirations-Quellen das Problem sind, sondern unsere unterschiedliche Prägung.

Langer Rede kurzer Sinn: Es gilt, die Nachvollziehbarkeit des Textes zu prüfen. Wie instrumentell agiert die Autor*in? Und wie expressiv? Wie ehrlich also ist das Ganze? Denn genau an dieser Stelle finden wir den Unterschied zwischen der AfD und ihren Opfern.

Ich halte die Autor*in des Textes für ehrlich. Und für ein Opfer. Falls ich mich fragen sollte, ob ich hier was tun kann, dann wäre die Antwort also nicht, den Graben tiefer zu ziehen, sondern Brücken zu schlagen. Dazu bräuchte ich aber ein Medium, das die emotionale Distanz verkleinert und die Kommunikationsbandbreite erhöht. Anders gesagt: Ich würde mich gerne persönlich treffen und locker abhängen. In Zeiten heftigst grassierender Covid-Pandemie sind die Gelegenheiten dazu aber leider komplett verschwunden, und dass sowas auch digital geht, habe ich noch nicht erlebt. Ich kann also erstmal nichts machen.

Schon doof, dieses Corona. Und da sind wir uns wahrscheinlich sogar alle einig.

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Wokeness

Das Urban Dictionary definiert „woke“ ziemlich genau so, wie ich es verstehe, nämlich als schwere, radikale und absolute Wahrnehmungsstörung bei gleichzeitig empfundener Erleuchtung und dadurch bedingtem Gefühl eines höheren Zugangs zu einer befreienden Wahrheit, verbunden mit überheblicher und anmaßender Beurteilung sozialer Belange.

„Deluded or fake awareness“ heißt es dort in den Definitionen, bis hin zu „Woke is a politically correct alternative to ’stupid‘ or ‚retarded'“. Außerdem etwas präziser noch „The act of being very pretentious about how much you care about a social issue“, und — wie ich finde am passendsten — „Being ‚Woke‘ is what happens when instead of taking one blue pill, you down the entire bottle.“ in Anlehnung an Morpheus in The Matrix, der Neo eine „red pill“ (perception of reality) und eine „blue pill“ (prison of ignorance) anbietet.

Ich verstehe den Begriff „woke“ dehalb so, wie es die englischsprachigen Nutzer im Urban Dictionary definieren, weil er auch in meiner deutschen Twitter-Bubble (wo ich ihn gelernt habe) genau so verwendet wird. Im Artikel Die Feinde des Liberalismus (Paywall) wendet die ZEIT ihn nun auf „Wach- oder Bewusstheit, im Rassen- und Kulturkampf“ an. Der Artikel legt dar, warum die Deplorables wegen der Wokeness der US-Linken „Trump zugelaufen sind“ und „Hillary Clinton 2016 den Wahlsieg gekostet haben“.

Wokeness ist tatsächlich eine Seuche in Amerika, ähnlich wie der Postmodernismus (ich schrieb darüber in PoMo-Twitter), und auch ich hatte damals zwar die Republikaner dafür verantwortlich gemacht, dass sie Trump als Präsidentschaftskanditaten aufgestellt haben, aber eben die abgehobene US-Linke dafür, dass Trump gewählt wurde. Auch der genannte ZEIT-Artikel spricht von „Amerika, die westliche Postmoderne überhaupt“, das unter der „Fuchtel des Jakobinismus“ steht und in dem eine „Ideologie der Intoleranz“ vorherrscht.

Wer in den letzten Jahren die Medien verfolgt hat, weiß dass das keine Übertreibung ist. Jeden Tag werden dort durch Wokeness und „canceling“ Existenzen vernichtet. Trump war seine ganze Amtszeit hindurch immer das kleinere Problem. Er hat nur die rechten Identitären gestärkt. Die Spaltung der Gesellschaft war durch die linken Identitären längst gegeben. Liberaldemokratischen Humanismus gibt es in den USA schon lange nicht mehr.

Der Artikel Wie soll man sagen? (auch Paywall) in der Süddeutschen nimmt Bezug auf diesen ZEIT-Artikel von @josef_joffe und zitiert dessen „moralische Vernichtung wegen Falschdenk“, ohne näher darauf einzugehen. Er erklärt dann den Begriff „BPoc“ als „Selbstzuschreibung“ von Menschen mit Rassifizierungserfahrung, sagt aber nichts zum Kern des ZEIT-Artikels, dem „Zwang zur Selbstbezichtigung“ bei Weißen. „Schwarze sind auf ewig Opfer, Weiße auf ewig schuldig.“ heißt es dort, und „‚Wokeness‘ signalisiert Kollektivschuld ohne Ausweg“.

Stattdessen schreibt @jhaentzschel zum BPoc-Begriff „Signifikant und Signifikat stehen bei diesem Begriff, anders als bei Katze oder Apfel, in einer variablen Beziehung, sie sind abhängig von persönlichen Erfahrungen.“

Katze oder Apfel.

Damit hat er mich abgehängt. Aber auch der ZEIT-Artikel übertreibt: „‚White male privilege‘ ist der Inbegriff des Bösen, ‚Rassist‘ die Verdammnis, die keinen Beleg erfordert. ‚Critical Whiteness‘ ist eine akademische Disziplin, die sich kaum von Indoktrination trennen lässt. Ein Weißer sei lebenslang gebrandmarkt – wie einst der Sklave im Baumwollfeld. Erlösung gibt es nicht.“

Ja, das ist woke. Und pomo. Und identitär. Aber das in dieser Form so plakativ anzuprangern, ist rassistisch. Mich zumindest erinnert das an das Hashtag #rassismusgegenweisse, das heute schon wieder an der Spitze der Twitter-Deutschlandtrends stand. Wo dann wieder alle nochmal sagen, dass es das nicht gibt. Und Nazis, dass doch.

Im Feuilleton der F.A.S. übrigens (hab‘ keinen Link, weil Print) war die S. 35 heute das „Glossar des richtigen Sprechens“.

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PoMo-Twitter

Zwei Videos habe ich zuletzt geguckt: #Bauerfeind nervt — mit Nuhr, Schubert und Schabl vom 26.11.2019 und #Rezo spielt „KISS 💦 MARRY 💍 K1LL ☠“ vom 17.11.2019. @fraubauerfeind nervt sonst eigentlich nicht (hier war sie allerdings mal echt unerträglich), und zur Zielgruppe von @rezomusik gehöre ich sonst… gar nicht. Aber um diese Leute oder deren Videos (für die Älteren: deren „Sendungen“) geht es mir hier nicht. Sondern um den Begriff „PoMo-Bubble“.

Von dem „Shitstorm“ um das #Rezo-Video hatte ich durch @watch_union erfahren und von dem #Nuhr-Interview bei Bauerfeind zum Greta-„Shitstorm“ gegen ihn von @DasErste. Beide Shitstorms fanden nicht in ganz Twitter statt (und spiegelten damit ein gesellschaftliches Ereignis wider oder stellten es selber dar), sondern nur in dessen „PoMo-Bubble“. Sagen die bei Twitter. Und so komme ich auf diesen Begriff.

Ich kannte den Begriff „PoMo-Bubble“ nicht. Bin ich selbst in dieser Bubble? Nun, ich gehöre zwar zu den (offenbar recht vielen) Leuten, die @dieternuhr für ein reaktionäres Arschloch halten, und das ist auch nach dem Bauerfeind-Interview immer noch so, allerdings hatten mich gerade seine Greta-Witze genauso wenig angetriggert wie Rezos 💦💍☠-Video. Offenbar gehöre ich also eher nicht zu PoMo-Twitter.

Was „PoMo-Twitter“ eigentlich sein soll, wird mir bei Twitter auch erklärt: Es sei „ne radikale Bubble“, die es

  • „irgendwann aufgegeben hat, mit anderen Leuten wie mit Menschen zu sprechen“
  •  „oder überhaupt sowas wie Argumente zu benutzen“, und deren Gewohnheit es sei, auf
  • „eine sehr asoziale Art“
  • „auf jeden direkt aus allen Rohren zu feuern, der ihnen bei irgendwas widerspricht (selbst wenn’s nur eingebildet ist)“. Es seien Leute,
  • „die alles dekonstruiert sehen wollen, mit dem sie sich nicht selbst identifizieren“, und für die
  • „die Vorstellung der sozialen Konstruktion durch Sprachakte“ zentral sei, und bei denen sich alles Denken und Handeln
  • „gegen ‚Privilegierte‘ richtet“.

Aha, dachte ich. Also so Leute wie die, die z.B. Dreadlocks bei Weißen für „kulturelle Aneignung“ und „Fortschreibung von kolonialistischem Rassismus“ halten und sich in Threads z.B. über #Rackete ereifern, weil sie ihre Privilegien nicht ordentlich gecheckt habe und mit ihrer Frisur sämtlichen People of Color das „Reclaimen des eigenen Körpers“ verweigere. Von solchen Leuten ist meine Timeline aber in der Tat voll. Leute, denen man nicht mit einem Gegenargument kommen darf, weil man damit „ihre Erfahrungen negieren“ würde. Also stecke ich doch tief im PoMo-Twitter?

Dieses „PoMo“ soll wohl für „Postmodernismus“ stehen, und dazu hat mich bisher auch keiner abgeholt. Aber Twitter gibt mir auch da Links: Eine wirklich lesenwerte Abhandlung über PoMos ist z.B. Wie der Postmodernismus die Aufklärung abwickelt (engl. Fassung: How French “Intellectuals” Ruined the West: Postmodernism and Its Impact, Explained). Ich musste sie allerdings zweimal lesen, und sehe mich außerstande, sie auf gleichem Niveau zu kommentieren. Ich habe daher erstmal nur versucht, mir einige Eckpunkte daraus zu notieren:

Postmodernismus sei demnach eine Denkweise

  • die die Existenz objektiver Wahrheiten leugnet und persönliche oder kulturelle Wahrheiten oder „Fakten“ als „gelebte Erfahrungen“ über empirische Nachweise stellt.
  • die wissenschaftlichen Konsens und liberale Ethik für autoritär und dogmatisch hält und Wissen als ein direktes Produkt von Macht betrachtet.
  • die Sprache mit Gewalt gleichsetzt, und den universalistischen Liberalismus mit Unterdrückung.
  • die den Anspruch der Wissenschaft, objektives Wissen erlangen zu wollen, als eine Form westlich-bourgeoiser Ideologie bezeichnet.
  • die dem liberalen Humanismus vorwirft, lediglich westliche, männliche Mittelschichtserfahrungen universalisieren.
  • die die Werte der Aufklärung als naiv, totalisierend und repressiv betrachtet, weswegen eine moralische Notwendigkeit bestehe, diese zu zerschlagen.
  • die die Intention einer Redner*in für weniger wichtig hält als die Rezeption, egal wie weit hergeholt die Interpretation der Aussagen ist.
  • die Verweise auf die Identität von Personen über vernunftbasierte Argumente stellt.
  • die allerlei Mantras frönt, z.B. es gebe keinen umgekehrten Rassismus, und dass allein unsere Identität bestimmt, wie wir die Welt sehen.
  • die von der zerstörerischen Wirkung von „Mikroaggressionen“ ausgeht, aber eigentlich bloß überempfindlich auf Sprache reagiert.
  • in der Mitmenschlichkeit und Individualität nahezu gänzlich fehlen und durch Wut ersetzt wurden.

Fakten als „Glaubenssatz unserer Kultur“, Wissenschaft als etwas „Eurozentrisches, Maskulinistisches und Militaristisches“ und „nur eine von vielen Möglichkeiten, die Welt zu verstehen“, Identitäts- statt Vernunftspolitik, erkenntnistheoretischer Relativismus und absolute Feindseligkeit gegenüber argumentativem Diskurs. Und das frei geäußerte Wort als die wirklich allergrößte Gefahr. Das alles sei der Postmodernimus. Oder wie Twitter es formuliert (auch hier im Zusammenhang mit #Rezo und der „PoMo-Bubble“): ‚Postmodernismus. Äußert sich auf Twitter in „Identität über Argument“ – Debatten der Form „Du als weißer Mann…“ und pauschalem Verwerfen von Wissenschaft etc. Als „Unterdrückung“. Häufig ist auch das Wort „Mikroagression“.‘

Ist das mein Twitter? Ja, auch. Aber ist das meine Bubble? Ganz klar nein. Ich würde PoMos wegen ihres Autoritarismus auch als Gewalttäter*innen empfinden und zügig entfolgen. In dem o.g. Text über den Postmodernismus heißt es „Für die eigene repressive Macht haben postmoderne Akademiker und Aktivisten kein Bewusstsein.“. Mein Eindruck ist, dass das stimmt. PoMos, so heißt es dort weiter, „bilden die Basis heutiger Protestkulturen, untergraben die Glaubwürdigkeit der Linken und drohen, uns in eine tribalistische, prä-moderne Ära zurückzuwerfen“. Das wiederum finde ich reichlich überdramatisiert, wenn man bedenkt, dass PoMos einfach nur Bekloppte sind. Sollen sie sich in ihrer „PoMo-Bubble“ doch weiter austoben. Man kann das einfach ignorieren.

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Keine Zeitumstellung ist ein Einhorn

Dieses Blog verwaist. Der letzte Eintrag ist ein Jahr alt.

Auch inhaltlich fällt das sofort auf, denn „Die nächste Landtagswahl“ (so der Titel des letzten Eintrags) in Bremen ist lange vobei. Danach waren schon Landtagswahlen in Brandenburg und Sachen, und heute ist schon wieder eine. In Thüringen.

Heute ist auch Zeitumstellung. Und da ich über Thüringen nichts weiß, schreibe ich halt was über die Zeitumstellung. Nicht über die konkrete (von Sommerzeit auf Winterzeit), sondern über das allgemeine Thema der Abschaffung der Zeitumstellung. Mich erinnert das Thema ja schon lange stark an den Brexit, und deswegen komme ich auch drauf. (Und ja, auch weil heute Zeitumstellung ist und weil mein Blog mir einfiel, weil heute Landtagswahl ist.)

Also: Der Titel „Keine Zeitumstellung ist ein Einhorn“ soll natürlich an das Brexit-Mem mit dem Einhorn und dem Pony erinnern. Denn die Abschaffung der Zeitumstellung ist wie der Brexit: populistisch und wahnhaft zugleich, aber man kriegt es nicht hin, das Thema zu beerdigen, obwohl sich längst herausstellt hat, dass es schlichtweg nicht geht.

Eigentlich, so fällt mir gerade ein, habe ich dazu am 02.02. (also vor knapp 9 Monaten) schon mal was geschrieben. Ich hatte mich zu Facebook verirrt und gesehen, wie ein Freund mit Status „is feeling disappointed“ schrieb „… Zeitumstellung-Abschaffen“. Da muss wohl gerade die Meldung rumgegangen sein, dass das erstmal nix wird, und ich hatte den Anfall, das zu kommentieren. (Verlinken kann ich das hier nicht, denn es war nicht öffentlich.)

Ich schrieb dort:

Dein „feeling disappointed“ ist verständlich, denn es gab ja mal den Junckerschen Vorstoß, dass nächsten Monat die letzte Zeitumstellung sein sollte. In Deutschland wünschen sich das auch viele, und die sind nun entsprechend enttäuscht. Aber die Zeitumstellung ist eben kein deutsches, sondern ein europäisches Ding. tagesschau.de schrieb deshalb zu recht dazu im Oktober im Artikel „Juncker in der Populismus-Falle“ im Schluss-Satz „Juncker ist mit Anlauf in seine eigene Falle getappt. Er hat schlicht das Gespür für die Menschen in Europa verloren.“.

Und in der Tat ist das Problem nämlich dies: Derzeit stellen alle Länder in allen drei europäischen Zeitzonen in der gleichen Sekunde auf Sommerzeit und zurück, wodurch die Zeitzonendifferenz zwischen den Ländern zeitunabhängig ist. Wenn das so bleiben soll, müssten alle Länder die Zeitumstellung abschaffen, was wiederum aber nur möglich ist, wenn zugleich die heutige große zentraleuropäische Zeitzone zerschlagen wird, weil sonst einige Länder ihre Sommerabende verlören oder andere im Winter eine düstere erste Schulstunde bekämen. Unter der Rahmenbedingung der zeitunabhängigen Zeitzonendifferenz wird die heutige große zentraleuropäische Zeitzone nur durch die Zeitumstellung ermöglicht.

Die Abschaffung der Zeitumstellung ist trotzdem noch nicht ganz vom Tisch, denn erstmal heißt es offiziell nur „mindestens fünfmal noch“, also noch fünf garantierte Umstellungen bis einschließlich auf Sommerzeit 2021. Danach will man dann nochmal gucken. Dass eine Neuordnung der Zeitzonen bis 2021 politisch gelingt, ist auch grundsätzlich möglich, aber eben nicht sehr wahrscheinlich, weil hier die zwar erheblichen, aber nicht so direkt spürbaren Interessen der Bürger*innen (Zeitzonen erhalten) im Konflikt mit den unmittelbar spürbaren Interessen der Bürger*innen (Zeitumstellung abschaffen) stehen und man sämtliche europäischen Länder dazu bringen müsste, eine populistische aber dumme — und zu allem Ärger auch noch gemeinsame — Entscheidung zu treffen. Ein bisschen wäre das wie beim Brexit. Die beste Lösung war schon vorher da, und eine schlechtere zu verhandeln scheitert daran, dass es eigentlich niemand will.

Aber wie gesagt: Vom Tisch ist die Abschaffung offiziell noch nicht. Nur wirklich schwierig dürfte es werden, denn es gibt ja auch Länder, die aus sehr nachvollziehbaren Gründen die Zeitumstellung allein schon für sich — also nicht bloß aus europäischer Zeitzonen-Sicht — unbedingt behalten wollen. Da eine Aufgabe der zeitunabhängigen Zeitzonendifferenz aber undenkbar ist, würde es schon allein daran scheitern. Aber auch einige der anderen Länder würde es zerreißen, wenn es daran ginge, sich die neue Zeitzone auszusuchen. Nur bei wenigen ist es so klar wie in Deutschland, das die Sommerzeit behalten würde. Glücklich würde am Ende aber sonst kaum jemand. Und deshalb glaube ich, dass auch 2021 nicht das Ende der Zeitumstellung kommt. Es ist eben wirklich wie beim Brexit: Es ist nicht falsch, danach zu rufen, ohne zu wissen, wie das gehen könnte. Aber man muss es auch lassen, wenn sich herausstellt, dass es eben wirklich nicht geht.

Meine damalige These, „dass auch 2021 nicht das Ende der Zeitumstellung kommt“ scheint sich inzwischen (wenig überraschend) zu bestätigen. Die Belege dafür habe ich mangels Motivation und/oder Disziplin nicht gesammelt, aber zumindest eine Quelle fällt mir ein: Vor ein paar Tagen twitterte der Brüssel-Korrespondent des ZDFs Stefan Leifert „Vorschlag für Abschaffung 2021 fand keine Mehrheit“ und „Vorhaben könnte auch noch komplett scheitern“. Die Quelle ist einigermaßen seriös, und die Aussage, dass die Abschaffung 2021 nicht kommt, steht nicht im Konjunktiv.

Dass die Abschaffung gar nicht kommt, haben weder Leifert noch ich je behauptet, und vielleicht gibt es ja doch Einhörner. Letztendlich sind Einhörner ja auch was Schönes. Ich möchte Zeitumstellung statt Brexit. Und Einhörner.

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