Das Ziel von Fußball ist, dass man als Gleiche auf’s Feld geht und als Ungleiche wieder runterkommt.
So jedenfalls erklärte es mir vor ein paar Jahren ein befreundeter Kulturwissenschaftler. Als promovierter Völkerkundler wusste er anschließend auch von Kulturen zu berichten, die ihren Sport stets so lange spielen, bis der Punktestand gleich ist.
Ich erinnere ich an meine Replik, dass auch ich so aufgewachsen war, also dass das gar keine so exotische Kultur sei. Im Federball, für das man sich irgendwo eine öffentliche Wiese suchte oder es im eigenen Schrebergarten spielte, war es z.B. immer das Ziel, dass der Spielpartner die Bälle erwischte und nicht, dass er sie verfehlte. Und wenn er sie dennoch wiederholt verfehlte, ließ man sie selber auch mal sausen, aber das nicht gönnerhaft, sondern man tat so, als ob man gescheitert war. Es kam durchaus regelmäßig vor, dass man Bälle tatsächlich verfehlte, da man das Spiel ja spannend halten wollte und sich deshalb immer wieder steigernde Herausforderungen zuspielte. Einen schwierigen Ball zu erwischen, empfand man schließlich als Belohnung. Es war aber nie das Ziel, „besser“ als der andere zu sein. Das Ziel war es lediglich, gemeinsam Spaß zu haben, und dafür war es erforderlich, dass keiner „siegte“.
Nur in der Schule wurde der Sport pervertiert. Wenn die im Sport besten Schüler ihre Mannschaften zusammenstellten und zunächst um die Mitschüler buhlten, mit denen sich am besten siegen ließ, bis sie sich schließlich widerwillig auch noch diejenigen Mitschüler aufteilten, die am meisten beim Siegen behinderten, dann hatte das Ganze schon vor Spielbeginn nichts mehr mit Sport zu tun. Und so waren dann auch die Spiele: siegen und verlieren statt einfach nur spielen. Ich weiß noch, wie ich den Wettbewerbssport im Unterricht deshalb gehasst habe. Ich empfand ihn als menschenverachtend und sehe das auch noch heute so.
Wettbewerb müsse deshalb verboten werden, berichtete mir jener Kulturwissenschaftler als Erkenntnisfazit. Das war die Stelle, an dem ich ihm gedanklich nicht folgte.
Aber zurück zum Fußball. In irgendeiner gedruckten Tageszeitung (es muss die taz gewesen sein), stand dieser Tage kritisierend, es gehe im Fußball nicht mehr um das siegen wollen, sondern nur noch um das nicht verlieren müssen. Dieser Gedanke treibt die eingangs gestellte These über das Ziel der zu erzeugenden Ungleichheit noch weiter, in dem er das Verlieren nicht nur als Unterlegenheit, sondern als Schande begreift. Ich will auch diesem Gedanken nicht folgen. Andererseits scheinen es etliche andere Menschen zu tun, denn anders kann ich mir #Gauchogate nicht erklären.
Mit dem #Gauchodance feierten Fußballer den Sieg eines Turniers, an dem sie mit Leidenschaft teilgenommen haben und in dessen Spielen sie ihre Motivation und Kraft aus dem Siegenwollen zehrten. Die erzeugte Ungleichheit der Mannschaften direkt nach Spielende war längst verflogen, nichts war abwertend gegen den Gegner gemeint. Der Titelgewinn ist eine freudige Erinnerung, aber nichts, was eine Mannschaft nachhaltig über eine andere erhebt. Dem Gedanken, eine Siegesfeier als Erniedrigung des Gegners zu verstehen, kann ich einfach nicht folgen. Er hätte endgültig nichts mehr mit Sport zu tun.
Oder hat eine Fußball-Weltmeisterschaft vielleicht für viele Menschen tatsächlich nichts mehr mit Sport zu tun?
Das würde einiges erklären.