Männliche Schwundform

Beim Thema „geschlechtergerechte Sprache“ kommen Klugscheißer* oft mit Lektionen über Genus und Sexus. „Der Bürger“ sei grammatikalisch (Genus) männlich, bedeutungsgeschlechtlich (Sexus) aber neutral, und insbesondere würde das für „die Bürger“ gelten. Frauen und Männer seien damit beide gemeint und niemand bloß mitgemeint. Mindestens im Plural solle man also das generische Maskulinum („die Bürger“) verwenden, weil es sprachlich weniger holperig sei als „die Bürgerinnen und Bürger“. Diese Doppelform sei zudem eine frauenfeindliche sexualisierende Spaltung der Gesellschaft.

Diese Schlussfolgerung überzeugt nicht jede* Klugscheißerin*. Ihr Gegenargument ist, dass Genus und Sexus keine Rolle spielen würden, weil Denotation und Konnotation von „die Bürger“ eben definitiv nicht geschlechtsneutral seien. Es komme darauf an, was in den Köpfen der Leser* ausgelöst wird, also auf ihre Assoziationen und die Pragmatik der Begriffe und nicht auf deren formale Semantik. Das generische Maskulinum würde Frauen nicht nur sprachlich unsichtbar machen und damit ausgrenzen, sondern eben auch in den durch die Sprache ausgelösten Gedanken. Man müsse eine die Geschlechter explizit inkludierende Sprache praktizieren.

Während diese beiden Gruppen sich streiten, ist längst eine neue Ära angebrochen, in der Gender-Inklusion eine zweite Dimension bekommen hat, nämlich die Sichtbarmachung marginalisierter Geschlechter durch den Gender-Stern mit der Schreibweise „die Bürger*innen“. Beim Thema geschlechtergerechte Sprache muss man seitdem sowohl die antipatriarchale als auch die entmarginalisierende Zielstellung berücksichtigen. Die Schreibweisen BürgerInnen, Bürger_innen und Bürger:innen versagen beispielsweise in beiden Dimensionen. Zum einen (antipatriarchale Dimension) repräsentieren und manifestieren sie, dass Frauen etwas von der männlichen Grundform Abgeleitetes seien, und zum anderen (entmarginalisierende Dimension) reproduzieren und perpetuieren sie die Marginalisierung aller anderen Geschlechter.

Ein klassischer Ansatz, die antipatriarchale Zielstellung zu erreichen, ist die Verwendung des generischen Femininums, also „die Bürgerinnen“ zu sagen und damit alle zu meinen. Auf die Frage „Werden so nicht Männer diskriminiert?“ antwortete die Linguistin* Luise F. Push in einem im SZ Magazin veröffentlichten Interview [1] wie folgt: „Bullshit! Zumal die männliche Form im generischen Femininum vorhanden ist, in dem Wort »Lehrerin« steckt der »Lehrer« drin. Im Scherz rede ich von der weiblichen Grundform und der männlichen Schwundform. Aber beim Thema Geschlechtergerechtigkeit denke ich eher in Richtung Reparationen.“. Die Verwendung des generischen Femininums sei für sie* „kompensatorische Gerechtigkeit“.

Das generische Femininum könne auch mit dem Gender-Stern kombiniert werden, ohne dass „der Stern in der Mitte das Wort zerreißt“ und so, „dass die schöne feminine Anmutung nicht zerstört wird“, so Luise Push in jenem Interview. Konkret: „Mein derzeitiger Vorschlag, auch um die Wünsche der Queer-Community miteinzubauen, ist der Genderstern am Ende des Feminimums, also: Lehrerin*, Regentinnen*. Der Stern zeigt an, dass alle Geschlechter gemeint sind, weiblich, männlich, nicht-binär. Grammatisch funktioniert es wie das generische Maskulinum, ohne Doppelformen, Schrägstriche und sonstige Verrenkungen.“

Ich habe das in diesem Blogeintrag mal versucht, anzuwenden. Im Singular würde ich den Stern allerdings auch an die Pronomen anhängen (Die Autorin* hat ihr* Buch vorgestellt.), und im Plural wäre mir das „innen“ zu sperrig (Die Autoren* haben ihr Buch vorgestellt.). Im Plural erscheint mir die männliche Schwundform vor dem Stern auch weniger ein Problem zu sein, da ja der Artikel (die) und die Pronomen (ihr, ihre) auch dann immer noch weiblich sind. Wichtig ist mir, dass die Autorenschaft im Singular ohne eine Geschlechtszuschreibung formuliert wird. Ich habe bisher z.B. immer „die Autor*in“ geschrieben, auch wenn ich einen einzelnen konkreten Mann meinte, was sich aber komisch anfühlte. „Die Autorin*“ wirkt da viel natürlicher. Ich finde, Luise Push hat da einen guten Vorschlag gemacht.

Zum Abschluss noch eine persönliche Anekdote: Die Diplomprüfungsordnung, nach der ich vor 30 Jahren Informatik studiert habe, war damals komplett im generischen Femininum formuliert. Die zuständige Senatorin* in Bremen hatte diese in der ersten Fassung nicht genehmigt, weil sie* ein Mann war. In der zweiten Fassung war deshalb „die Senatorin“ durch „die senatorische Behörde“ ersetzt worden (und alles andere im generischen Femininum belassen), was die Senatorin* dann akzeptierte. Hätte man damals schon einen Gender-Stern angehängt („die Senatorin*“), wäre diese Iteration wohl nicht notwendig gewesen.

Übrigens gab es damals nicht nur noch keinen Gender-Stern, sondern auch noch keine sog. „neutralen Schreibweisen“ wie z.B. „der/die Studierende“. Ich war prüfungsamtlich „eine Studentin“ und hatte mich darin auch wiedergefunden, weil ich gemeint war. Auch heute würde ich Studentin* gegenüber Student*in bevorzugen, weil Letzteres doch wieder die männliche Grundform normalisiert. Der Begriff „der/die Studierende“ lässt sich allerdings auch mit „die Studierende*“ nicht retten, weil das semantisch eine Tätigkeitszuschreibung ist. „Da sitzt eine Studierende*.“ bedeutet, dass da eine* sitzt, die* in dem Moment gerade studiert, während „Da sitzt eine Studentin*.“ bedeutet, dass da jemand* sitzt, der* an der Lehranstalt eingeschrieben ist.

Ich möchte daher abschließend nochmals den Vorschlag von Luise Push loben, also Doppelform und neutrale Schreibweisen zugunsten des generischen Femininums zu meiden, sowie den Gender-Stern anzuhängen anstatt ihn zur Verfestigung der männlichen Schwundform zu missbrauchen. Mit ihrem* Vorschlag werden nicht nur alle Ziele von Gleichstellung und Gender-Inklusion erreicht, sondern ganz viele Probleme anderer Vorschläge gelöst.

[1] »Unsere Grammatik widerspricht dem Grundgesetz« (Süddeutsche Zeitung Magazin, 22.12.2020)
https://sz-magazin.sueddeutsche.de/wissen/luise-pusch-interview-linguistik-89651

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