Bluesky

Gerade eben bin ich darüber gestolpert: dass bei Bluesky jemand schrieb „Wie Du es schaffst und warum, hier die Mastodon/weiße cis Dude-Vibes zu verbreiten lasse ich weiter bei Dir.“

Ich will hier nicht thematisieren, worum es da ging (der Autor:in wurde in dem selben Thread weiter oben „Hat auch nur 30 Minuten gedauert, bis hier Mastodon-Vibes entstehen“ vorgeworfen, und sier hat darauf reagiert, indem sier selbst einen Mastodon-Vibe-Vorwurf zurückwarf), aber mir kam spontan in den Sinn, dass ich ungefähr ein Jahr vorher bei Mastodon mal geschrieben hatte „Nicht überrascht war ich von der Wahrnehmung der CW harassment culture hier bei Mastodon als alles von „the comfort of white fragility“ bis „instanced wokescolding“, aber völlig überrascht war ich, warum Hive die Antwort darauf sein soll.“. („CW“ meinte „content warning“, ein häufiges Streit-Thema bei Mastodon.)

Bei diesen Zitaten (die mit „wokescolding“ und „white fragility“) bezog ich mich auf den in jenem Mastodon-Post von mir beigefügten Screenshot von Tweets über Mastodon. Zu der Zeit, also bis vor etwa einem Jahr, diskutierte man noch bei Twitter, insbesondere wenn es um Mastodon ging, denn das war auf Mastodon selber nicht sinnvoll möglich („was aber als typisches Selbstbild-vs-Fremdbild-Ding erwartungskonform ist“ schrieb ich damals dazu). Und auch dort hatte ich einen Screenshot angehängt mit Diskussionen um Alternativen zu Twitter. (Das Thema ließ mich nie los. Auch im letzten Blogbeitrag hier ging es ja darum.)

Heute, ein Jahr später, haben wir also Bluesky als zusätzliche Alternative, auf der wir über „Mastodon-Vibes“ sprechen können. Für viele ist Bluesky die erste wirklich echte Alternative zu Twitter, obwohl die meisten wissen, dass Bluesky Social ein reiner Showcase des in einem sehr frühen Entwicklungsstadium befindlichen AT Protocol ist, und das noch ohne eigenes Geschäftsmodell, und auf lange Sicht erstmal nur invite-only, und noch ganz ohne kommunizierte Vision der gleichnamigen Firma, mit außerdem völlig intransparenten Eigentumsverhältnissen. Einer Firma, die Entwicklung und Standardisierung des gemeinützigen Teils (also eben des AT Protocol) absolut priorisiert und auch die Weiterentwicklung des Showcase Bluesky Social (mit einem extrem kleinen Entwicklungsteam) aktuell allein daran ausrichtet. Sitzend in den USA, trotz „public benefit C Corp“-Status Gewinn-orientiert und Venture-Capital-finanziert, will diese Firma in einigen Jahren irgendwas erreicht haben, was keiner von uns heute erraten kann.

Angesagt ist Bluesky aktuell 1. bei vielen, die damals (als jener libertäre Tech-Bro Twitter übernahm und für alle offen sichtbar in ein rechtsextremes Propagandamedium umzubauen anfing) den Schuss nicht gehört hatten und bis fast heute bei Twitter/X geblieben waren (bis es wirklich ganz unübersehbar wurde), sowie 2. bei diversen Groß-Accounts, die das sehr wohl schon früh mitbekamen, aber bisher einfach nur Angst um ihre (mittlerweile trotzdem verschwundene) Reichweite hatten, außerdem 3. bei Leuten wie mir, die mit Mastodon nur schlechte Erfahrungen gemacht und daher nie für eine Alternative zu Twitter gehalten haben (und ein Jahr lang verzweifelt versuchten, diese unerträgliche Zwischenstation im Fediverse wieder irgendwohin zu verlassen), und letztendlich 4. auch bei einigen Experten, die im AT Protocol die mögliche langfristige Ablösung von ActivityPub sehen — dem Protokoll, das Mastodon zugrunde liegt, und das dessen mit Abstand größte Schwachstelle ist.

Bluesky ist nicht anders als die meisten Plattformen dieser Art. Wie Twitter, Mastodon und der Instagram-Wurmfortsatz „Threads“ von Meta (mit separater und in Europa derzeit noch gesperrter App) ist es ein Post-and-Reply-Modell, bei dem man sich mit einem Reply in einen Thread einklinkt, oder mit einem Post einen neuen startet, bei dem sich Post und Reply ansonsten aber nicht unterscheiden, und bei dem die entstehenden Threads allen gehören. (Der Gegensatz dazu sind Post-and-Comment-Modelle, bei denen sich Post und Kommentar wesentlich unterscheiden, und wo die Kommentarstränge immer an einem Post hängen, an dem die postende Person Hausrecht hat und fremde Kommentare sogar löschen kann.) Bei Bluesky ist nichts löschbar. Will man dort eine Verbindung eines eigenen Posts von oder zu einem bestimmten anderen Post für alle ausblenden, muss man die Autor:in jenes anderen Posts öffentlich blockieren. Das blendet dann sämtliche Verbindungen zu dieser Person in allen Threads (und auch Follower/Followee-Beziehungen) für alle User so lange aus, bis man die Person wieder entblockt. Die verbliebenen Teil-Threads erscheinen solange als getrennte Threads, wodurch die einzelnen Teile unterschiedliche Reichweiten bekommen. Groß-Accounts nutzen dieses Feature daher gerne, um zu beeinflussen, welche Gedanken und Verhaltensweisen auf der Plattform mehr und welche weniger Reichweite bekommen sollen, sowie welche Personen von zukünftigen Diskursen ausgeschlossen werden und welche nicht. Dadurch wird die Plattform hauptsächlich durch diese User moderiert. Die Möglichkeit des Meldens von Posts dient nur noch dazu, den Mechanismus der Betreiber zu triggern, der Bots und Trolle über die (nicht-öffentlichen) Invite-Graphen identifizieren und abschalten kann. Ansonsten moderierend eingreifen können die Betreiber nicht, da es noch keine Moderations-Teams gibt, und sich auch das Moderations-Tooling noch in der Entwicklung befindet.

Auch bei Bluesky lässt man sich Feeds (Timelines) von anderen Menschen kuratieren, in dem man sich aussucht, welchen Accounts man folgt. Diese ausgewählten Followees schieben einem z.B. Posts von Dritten unter, indem sie deren Posts liken. Man sieht diese dann u.a. in dem Feed „FollowersLike“, der einem Posts anzeigt, die Personen geliked haben, denen man folgt. Aber auch z.B. in dem Followee-unabhängigen Feed „Silberskeets“, der deutschsprachige Posts anzeigt, die von mehreren beliebigen Personen geliked wurden. Ein anderer Weg seinen Followern Post von Dritten unterzuschieben, sind Replys (bei Twitter „Drukos“ genannt). Haben die Follower ihre App auf die Threaded-Ansicht umgestellt (und die Schwelle der für eine Anzeige erforderlichen Likes auf Replys in der App für sich passend eingestellt), erscheinen diese in dem Feed „Following“ über dem Reply. Ein dritter Weg, jemandem Posts von Dritten unterzujubeln, sind Quote Posts (bei Twitter „Drükos“ genannt). Kein geeigneter Weg hingegen sind bei Bluesky Re-Posts. Man kann die Anzeige von Re-Posts dort aktuell nur für alle abschalten (was man aber nicht möchte, da gelegentliche Re-Posts wertvolle Empfehlungen sind) und hat ansonsten nur die Wahl, keinen Accounts zu folgen, die überwiegend re-posten. Re-posten ist daher der sichere Weg, seine eigene Reichweite zu senken, ohne die Reichweite der ge-re-posteten Sachen zu erhöhen. Mir bereitet es immer Schmerzen, wenn ich Leuten nicht (zurück-)folgen kann, weil diese überwiegend reposten. Auf Bluesky ist häufiges Re-Posten asoziales Verhalten.

Aber zurück zu den eingangs genannten Mastodon-Vibes bei Bluesky. In dem Beispiel hatte jemand auf einen „wokescolding“-Angriff mit „white fragility“ reagiert, was zwei sehr typische aber auch sehr unterschiedliche Mastodon-Vibes sind, die zunehmend auf Bluesky rüberschwappen, und dann haben die sich das gegenseitig vorgeworfen. Die gleiche Diskussion hätte aber auch bei Mastodon selber stattfinden können. Ein anderes Konfliktpotential bei Bluesky ist, dass dort die unterschiedlichen Kulturen von Twitter und Mastodon aufeinandertreffen, weil alle bei Bluesky vorher entweder bei Twitter oder bei Mastodon sozialisiert wurden. Die Empörungskultur von Twitter und die Gängelungskultur von Mastodon (z.B. hinsichtlich Bildbeschreibungen) passen aber überhaupt nicht zusammen, obwohl beides gleichermaßen kulturkampfig ist. Ekelhaft sind bei Bluesky auch die zahlreichen öffentlichen Blockempfehlungen und das ungewöhnlich arrogante Verhalten vieler Ex-Twitter-Großaccounts. Auch politisch ist Bluesky zwar sehr angenehm, aber kein Abbild der Gesellschaft, und exzessive Blockier-Orgien (öffentliches Mobbing) gibt es bei Bluesky nicht nur für Bots oder Trolle, sondern auch schon für kleinste abweichende Meinungen oder unbeliebte Formulierungen. Diskurs ist dort nicht möglich. Zugleich ist die Anfangszeit, in der alle lieb und humorvoll waren, lange vorbei. Und niemand weiß, wann das Klima kippt.

Ich selber mag Bluesky trotz allem. Ich bin seit 12. August 2023 (User ) dort, und es ist nach wie vor die Plattform meiner Wahl und meine ausdrückliche Empfehlung. Von den 10 Invite-Codes, die ich bisher zum Weitergeben von Bluesky erhalten habe, habe ich bisher nur 3 vergeben (den ersten bereits am 17. August an User ), d.h. wer dies liest und einen Invite für sich selbst haben möchte, der mag sich gerne bei mir melden.

Über York

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5 Antworten zu Bluesky

  1. 𝘠𝘰𝘳𝘬 schreibt:

    @wolkenstich.wordpress.com Heute vor einer Woche schrieb ich in https://wolkenstich.wordpress.com/2023/10/28/bluesky/"Von den 10 Invite-Codes, die ich bisher zum Weitergeben von Bluesky erhalten habe, habe ich bisher nur 3 vergeben […], d.h. wer dies liest und einen Invite für sich selbst haben möchte, der mag sich gerne bei mir melden."Einer ist inzwischen weg, aber das ist nicht der Grund für diesen Post. Sondern ich will nur ausprobieren, wie man bei WordPress einen (diesen) Kommentar sieht, der über Mastodon kommt.

  2. 𝘠𝘰𝘳𝘬 schreibt:

    @wolkenstich.wordpress.com Wie schnell sich die Dinge doch ändern. Ich bin jetzt schon sehr lange nicht mehr bei Bluesky aktiv, und will mir als Nächstes mal #Threads anschauen. Bisher war ich zu faul, die Sperre in der EU zu umgehen, aber die hat sich ab Donnerstag ja erledigt. Bluesky hat sich in der Zeit, die ich da war, (erwartungskonform) sehr stark verändert, und was sich dort jetzt abzeichnet, ist so gar nicht mehr meins und viel zu entrückt von der Wirklichkeit.

  3. Pingback: Threads | Wolkenstich

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